Textatelier
BLOG vom: 13.02.2008

Valentinstag: Geheimnisvolles Paket, Edna gewidmet

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Ich muss begründen, warum ich den „Absurdistan-Text“ diesem Valtentinstag-Blog vorangestellt habe. Die Valentine erscheint immer als holdes und anmutiges Geschöpf und wird folglich fleissig umworben, kriegt Rosen und Pralinen von hoffnungsvollen Anwärtern mitsamt geheimnisvollen Kartengrüssen.
 
Das finde ich ungerecht und absurd jenen Mädchen und Frauen gegenüber, die sich nicht vor dem Spiegel fragen können: „Wer ist die Schönste im ganzen Land?“ Betrübt wenden sie sich vom Spiegel ab. Ihre Aussicht, zur Valentine erkürt zu werden, ist gering, es sei denn, sie seien reich genug, um sich der Schönheitschirurgie auszuliefern. Das ist zum Fenster herausgeschmissenes Geld, denn wer reich ist, wird augenblicklich schön und begehrenswert. Und die anderen? Auch sie kommen an ihren Mann, was die englische Sentenz „Beauty is in the eye of the beholder“ (Schönheit ist im Auge des Betrachters) beweist. Und darum geht es in diesem Blog, das dem Absurdistan-Einschub folgt.
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Absurdistan: Die missmutige Runkelrübe
Es ist schwer vorstellbar, dass eine Runkelrübe jemals froh und glücklich wird, Ausnahmen vorbehalten. Die Runkelrübe, von der hier die Rede ist, heisst Durlips und hätte eigentlich stolz auf ihren alemannischen Ursprung sein sollen. Mitnichten. Sie haderte immerfort und wollte vom Rheinland weg. Hier war sie bloss Futter für Rinder und Schafe und wurde „Beta vulgaris“ oder bestenfalls das „Vieh-Mangold“ genannt. Beleidigend fand sie auch, dass sie den Fuchsschwanzgewächsen zugewiesen ist.
 
Rübezahl erfuhr von ihren Wehklagen und bemitleidete sie. Er schickte den Ritter Runkel von Rübenstein als Tröster zu ihr: „Du bist doch keine Runkelrübe, sondern eine Zuckerrübe!“ Das wirkte, und sie verliebte sich in ihn, wurde seine Frau mit dem Titel „Adelaide von Möhrenfeld“ und lebt seither glücklich mit ihrem Ritter in Absurdistan.
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Edna und „Black Magic“
Edna war kein Gemälde und hatte sich damit abgefunden. Klein und hager ging sie als Putzfrau ihres Wegs. Trotz der Gummihandschuhe waren ihre Hände mit der Zeit rau und schwielig geworden. Sie arbeitete in einem Spital, scheuerte Böden, wusch Fenster, reinigte Badezimmer. Der gelbe Plastikeimer war ihr einziger Begleiter. Selbst die Patienten bemerkten sie kaum, wenn sie griesgrämig ihre Arbeit verrichtete. Sie war vorzeitig gealtert, obwohl sie erst 35 Jahre alt war. Ein mürrischer Zug hatte sich um ihren schmallippigen Mund eingenistet. Abends hütete sie oft Kleinkinder, um ihr karges Gehalt zu verbessern. Das machte ihr Freude. Ihr Gesicht erhellte sich, wenn sie ihnen Kinderlieder in weicher Stimme vorsang.
 
Sie lebte in einem Zimmer im obersten Stock eines Altbaus ausserhalb der Stadtmitte von Belfast. Ihre Geschwister waren nach Nordengland abgewandert. Somit waren auch ihre Kontakte mit der Familie versiegt. Ihr Vater war gestorben; ihre Mutter lebte in einem Altersheim. Sonntags ging sie in die Kirche. Auch dort fand sie zwischenhinein Putzarbeit. An manchen Tagen haderte sie mit ihrem Schicksal, besonders wenn ihre Gelenke schmerzten. Als Mädchen wollte sie Primarlehrerin werden. Davon wollte ihr knauseriger Vater nichts wissen.
 
Frühmorgens wartete sie jeweils bei der Haltestelle auf den Bus. Auch an diesem düsteren Februarmorgen rieselte es Bindfäden. Endlich kam der Bus. Sie nickte wie immer dem Chauffeur zu, der gleich ihr Frühdienst hatte. Es war immer der gleiche gutgelaunte Mann mit krausem, schwarzem Haar. Manchmal zwang sich Edna zu einem Lächeln, wenn sie ihm gewohnheitsmässig zunickte. „Höchste Zeit, dass wieder einmal ein Lächeln für mich abfällt“, sprach er sie an – zum ersten Mal. „Dafür kriegst du etwas.“ Er reichte ihr ein kleines Päckchen, mit rosarotem Papier gewickelt. „Zwar ist es nicht von mir … Jemand hat mir aufgetragen, es dir zu geben.“
 
Edna wusste nicht, was sie sagen sollte, und sie suchte ihren Sitzplatz auf. Sie konnte das doch nicht einfach annehmen, ging ihr durch den Sinn. Sie wollte es zurückgeben. Inzwischen hatte sich der Bus mit Passagieren gefüllt, und bald hatte sie ihre Haltestelle erreicht. Im Spital wurde die Neugier übermächtig. Eine Schachtel Schokolade kam zum Vorschein – „Black Magic“, woran ein Kärtchen mit der golden bedruckten Aufschrift „To my Valentine“ angeheftet war. Edna war sprachlos. Wer hatte sich diesen Scherz auf ihre Kosten erlaubt? Wie auch immer, sie beschloss, die Schokolade auf Kosten des Spenders zu essen.
 
Am nächsten Morgen nickte sie dem Busfahrer nicht einmal zu. „Warum schneidest du mir so ein Gesicht?“ fragte er sie. „Hat dir die Schokolade nicht geschmeckt?“ Sie hatte beabsichtigt, ihn zur Rede zu stellen. Aber alles, was sie sagen konnte, war: „Doch, doch!“ Ein Lächeln umflackerte ihren Mund.
 
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