Textatelier
BLOG vom: 17.02.2008

Trost von Bach, Heine: „Mein Kind, wir waren Kinder …“

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Eben hatte ich gestern Abend die Schallplatte – Johann Sebastian Bachs „Concerto pour 4 Clavecins“, von ERATO vor Jahren gepresst – nach einem struppigen Tag aufgelegt. Eine Stunde vorher hatte ich mir im Garten den rechten Zeigefinger arg zerquetscht, als ich einen Baumstrunk auf einen anderen schichten wollte. Solche Unfälle widerfahren mir immer wieder in den letzten Sekunden einer Arbeit. Ich hielt die rechte Hand mit dem verbundenen Finger hoch, so wie einst in der Schule, wenn man endlich wieder einmal eine Antwort auf des Lehrers Frage wusste.
 
So war ich momentan ein Linkshänder, als ich nach alter Gewohnheit ein Buch aus den Regalen meiner Hausbibliothek zupfte und wahllos aufschlug. Es war diesmal das handliche „Buch der Lieder“ von Heinrich Heine, in der 3. Auflage vom Carl Krabbe Verlag 1893 gedruckt. Warum hatte mich nicht eine Krabbe in den Finger gezwackt? Das wäre wohl weniger schmerzhaft gewesen.
 
Aber schon war ich von der 1. Zeile „Mein Kind, wir waren Kinder“ abgelenkt. Bach und Heine wirken schmerzlindernd. Wie ging es weiter in seinen 8 Strophen?
„Zwei Kinder, klein und froh;
Wir krochen ins Hühnerhäuschen,
Versteckten uns im Stroh.“
Mir behagte es früher im Stroh einer Scheune, die sich in unserer Nachbarschaft erhalten hatte und wo wir als Kinder gerne spielten.
 
In Heines Lied krähten die Kleinen „Kikereküh“ so echt, dass die Leute verdutzt inne hielten. Zu ihnen, wie zu mir heute, gesellte sich die Nachbarskatze, und wurde von ihnen mit Bücklingen und Knicken begrüsst und nach ihrem Befinden befragt. Die Katze ist auch für mich eine Respektsperson. Gestern aber hatte ich ihr im Garten keine Reverenz erwiesen, und sie verschwand bald über die Mauer. Hätte ich mich doch von ihr statt vom Baumstrunk ablenken lassen …
 
Die kleinen Leute, so erfuhr ich aus der 6. Strophe, sprachen vernünftig miteinander „wie alte Leut‘ /Und klagten, wie alles besser / Gewesen zu unserer Zeit“. Das gehört doch zum Kindersein: die Grossen nachäffen. Sie klagten, wie es Erwachsene tun: „Wie Lieb und Treu und Glauben, / Verschwunden aus der Welt, / Und wie so teuer der Kaffee, / Und wie so rar das Geld!“
Dazu kann ich ihnen heute nur beipflichten und könnte mein eigenes Klagelied beisteuern. Aber das ist sinn- und zwecklos, und ich unterlasse dies.
 
Die letzte Strophe muss ich hier hurtig einfügen, da sie so zeitgemäss ist:
„Vorbei sind die Kinderspiele,
Und alles rollt vorbei, –
Das Geld und die Welt und die Zeiten,
Und Glauben und Lieb und Treu.“
Doch lieber nicht so. Das ist alles so schaurig traurig. Meine Kinderspiele sind noch längst nicht vorbei und ausgespielt, denke ich, wie ich die Schallplatte auf die andere Seite lege.
 
Aber alles hat seine Grenzen, denn am nächsten Tag muss ich meine Buchhaltung vorbereiten – eine Sache, die mich als Erwachsener verdriesst. Vielleicht kann ich diese Pflicht dank meines wunden Zeigefingers aufschieben? Und so ist es geschehen, wie ich dieses Blog mit 7 Fingern in die Tasten gebe …
 
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