Textatelier
BLOG vom: 08.08.2008

Glück und Reichtum: Der Farthing und der Zaunkönig

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Habe ich Sperberaugen? Nein! Immer wieder lese ich Münzen von der Strasse auf, meistens sind es Kupfer-Pennies. Ich verdanke sie dem Zaunkönig. Am letzten Samstag bückte ich mich. Der Penny war eine Spur zu leicht, und ich setzte die Brille auf. Es war ein Farthing. Auf der Vorderseite der Münze war die junge Königin Elisabeth II. aufgeprägt. Auf der Rückseite stand in Grossbuchstaben „FARTHING“ aufgedruckt. In der Münzenmitte thront schelmisch der Zaunkönig.
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Diese Münze wurde 1953 geprägt. Zuerst wurde der Farthing im 13. Jahrhundert in Silber geprägt, später in Kupfer. Er war ein Viertel-Penny wert und wurde 1960 aus dem Verkehr gezogen. Mein Fundstück war nicht einmal abgegriffen. Es war der 1. Farthing, den ich in der Hand hielt. Ich krönte diese kleine Münze sofort zum „Glücksbatzen“, was dem Zaunkönig Ehre antut.
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In meinem leicht verwilderten Garten hat es viele Zaunkönige. Als ich ihrer erstmals gewahr wurde, dachte ich „schon wieder eine Maus“. Der winzige Zaunkönig ist nicht viel grösser als eine Zündholzschachtel , trägt einen keck hochgezwickten Schwanz und ist kastanienbraun. Er lebt gern bodenständig und flitzt nach Insekten jagend unter den Sträuchern wendig hin und her.
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Wo soll ich diesen Glücksbatzen sicher aufbewahren? Auf dem Fenstersims glänzt schmuck ein dickrandiges Kristallväschen mit eingraviertem „wren“ – also einen Zaunkönig darstellend, der es mir als Sammler angetan hat. Dieses Väschen hat die schwedische Kristallmanufaktur „Strömberg“ 1975 geschaffen. Der Schöpfer dieses Vogels hat seine Initialen „dn“ gleich zweimal graviert, einmal auf der Standfläche, neben der Gravur „wren No. 74“; einmal neben dem minutiös geschliffenen Vögelchen auf der Vorderseite.
 
Seit ich vor einem Jahr diesen Flohmarktfund gekauft habe, verwechsle ich den Zaunkönig nicht mehr mit der Maus und habe dieses Jahr meine Freundschaft mit dem Zaunkönig vertieft. Wie viele Zaunkönige im Garten wohnen, weiss ich nicht. Ich weiss nur, dass aus den Nestern etlicher Nachwuchs flügge geworden ist. Das freut mich ungemein, genau so wie einst auch die Gebrüder Grimm und Äsop, die ihm Fabeln angedichtet haben.
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Der Zaunkönig schmettert seine Triller, viel lauter als man es einem kleinen Vogel zutraut, durchs ganze Jahr, vom Morgengrauen bis zur Dämmerung – und erst noch auf Lateinisch, denn er ist stolz auf seinen Namen „Troglodytes“. Zwischenhinein, wenn er verärgert ist oder sich bedroht fühlt, zetert er kurz abgehackt.
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Der Zaunkönig und andere Singvögel finden im Garten immer eine frisch nachgefüllte Schale Wasser. Inzwischen sind sie recht zutraulich geworden. Sitze ich lesend still, nähern sie sich mir. Von ihnen abgelenkt, halte ich Zwiesprache mit ihnen, nein nicht auf Lateinisch, sondern auf Schwyzerdütsch. Manchmal antworten sie mir auf „Vogesisch“.
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Der Zaunkönig ist wirklich ein König und erst noch ein Zauberer, wie er mir den Farthing frisch vom Himmel vor meine Füsse fallen liess. Und das ist kein Märchen, so gerne ich ihm eines gewidmet hätte. Jetzt weiss ich, wie es kommt, dass ich immer wieder einen Batzen von ihm auf der Strasse finde. Vor wenigen Tagen ist es ein silbernes 50-Rappen-Stück aus dem Jahr 1875 gewesen. Dieser Tausendsassa ist ein guter und flinker Flieger. Er hat es mir gewiss aus Basel nach Wimbledon gebracht. Dieser Silberling liegt jetzt beim „wren“ im Kristallväschen.
 
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