Textatelier
BLOG vom: 12.09.2008

Speciality & Fine Food Fair in London: So isst England

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Auch dieses Jahr 2008 besuchten meine Kollegen aus Deutschland und ich diese Lebensmittel-Spezialitäten-Messe im Olympia Exhibition Centre im Londoner Stadtteil Kensington. Mit rund 550 Ausstellern, zumeist kleine und kleinste Firmen, ist diese Messe für uns ein gutes und übersichtliches Trendbarometer, und es kostet weniger Fussmeilen als die Riesenausstellungen wie ANUGA in Köln oder SIAL in Paris. Obschon auf dieser Messe auch Aussteller aus anderen Ländern auftraten, vor allem aus Spanien und Italien, waren es überwiegend englische Hersteller. Es ist gut zu wissen, dass neue Kleinstunternehmen wie Pilze aus dem Boden schiessen. Somit ist für Nachwuchs gesorgt, nachdem viele mittelständische Unternehmen von den „Grossen“ aufgekauft worden sind, denn diese Neugründungen siedeln sich vorwiegend in Produktenischen ein, und müssen – um sich im Wettbewerb zu behaupten – sehr innovativ sein.
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Grossbritannien steckt, im Gegensatz zu anderen EU-Ländern, in einer Rezession, die der Hypothekenkrise (credit crunch) zugeschrieben wird. Der Pleitegeier macht sich bemerkbar. Hypotheken für den Kauf von Eigenheimen/Wohnungen sind knapp geworden. Wer mit den Hypothekarzinsen in Verzug  gerät, verliert sein Heim an die Bank. Die überrissenen Preise auf dem Häusermarkt sind jetzt auf Talfahrt, die Energiepreise sind hochgeschnellt – und was den Konsumenten besonders zu schaffen macht – ist die so genannte „food inflation“ .
 
Seit Januar 2008 haben sich die Lebensmittel-Preise bis um 40 % erhöht (Croissants, Schinken, Mayonnaise usf.). Laut einem BBC-Survey erhöhten sich die Preise für Konserven (+15 %), Backwaren (+6 %). Die Verteuerung von Verpackungsmaterial, Speiseöl/Fette und Zutaten aller Art  wirken sich auf die Einzelhandelspreise aus. Der Wert des Pfunds (£ ) ist gegenüber dem Euro und CHF im Sturzflug.
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Und hier sind wir auf einer Messe, die den Premium-Spezialitäten gewidmet ist. Mehr und mehr Konsumenten sind gezwungen, von der „Bio-/organischen Kost“ zu lassen. Sie verzichten auf teures Mineralwasser und trinken Leitungswasser, meiden Deli-Geschäfte und kaufen vermehrt im Aldi oder Lidl ein.
 
Und dennoch werden viele Aussteller den wirtschaftlichen Sturm überleben, wiewohl viele von ihnen sich uns gegenüber „besorgt“ gaben. Nicht nur Wolken, sondern auch Krisen haben ihr „silver lining“. Innerhalb unserer Beraterpraxis arbeiten wir hauptsächlich für mittelständische Lebensmittelhersteller, die Zugang zum englischen Riesenmarkt suchen. Sie suchen Partnerschaften aller Art mit englischen Herstellern, sei es innerhalb der Produktion, im Vertrieb usf. Für sie ist der rechte Zeitpunkt zum Einstieg in England oder zur Ausweitung des Englandgeschäfts gekommen. Wir helfen ihnen beim Aufstöbern solcher Gelegenheiten, bis und mit Akquisitionen.
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Was hat uns bei unserem Rundgang auf dieser Messe, die alle Produktbereiche umfasst, besonders in die Augen gestochen?
Die Spitzenqualität des Angebots, sei es u. a. im Geschmack und in der Präsentation der Produkte. Ganz allgemein auch der gerechtfertigte Stolz der Inhaber (Familienunternehmen!) auf ihre Errungenschaften, ein tragfähiges Geschäft aufzubauen, mittels kletterfähigen Marketingkonzepten. Sie sind mit den lokalen/regionalen Verhältnissen vertraut und können bei neuen Produktentwicklungen entsprechend rasch agieren.
 
Kleinunternehmer sind vielfach wendiger und anpassungsfähiger als Grossunternehmen – auch in Bezug auf Kostensenkung – doch nicht auf Kosten der Qualität und der zuverlässigen Kundenbetreuung.
 
Sie sind weniger dem Kostendruck der Einzelhandelsketten ausgesetzt, und viele von ihnen beliefern die Gastronomie. Aber wie gesagt, sind viele besorgt, weil der Konsument den Gürtel enger zieht und auf billigere Alternativen ausweicht.
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Welche Trends stellen wir aus der Sicht der Aussteller fest?
Der Ausweg: „Der Weg zurück zum ‚Handwerk in der Küche – statt Massenware.“ Der Geschmack der Engländer hat sich dank der exotischen Kost enorm verfeinert und auch eine Renaissance der englischen Kost bewirkt. Im täglichen Gehetze und, bedingt durch die verlängerte Arbeitszeit, sollen die kulinarischen Kleinigkeiten zur Lebensfreude erhalten bleiben. Diese Zielsetzung beschwingt die Inspiration vieler Kleinhersteller und begründet ihren Erfolg.
 
Das Wort „Convenience“ ist abgegriffen – und wird ausser von Hobbyköchen – von Berufstätigen fast als selbstverständlich vorausgesetzt. Zur Convenience (Bequemlichkeit) kommt der Begriff „Essgenuss“. Dazu braucht es erstklassige Zutaten.
 
Ich zitiere hier einige Auszüge aus der Selbstdarstellung einiger Anbieter – teils auf Englisch:
 
The French Dressing Company, London (Hersteller von Salatdressings): 
-- „The art of good dressing … is all down to taste.“ Young, fresh and fruity – No. 21 French dressing – a mouth-watering combination that blends the finest extra virgin olive oil and raspberry together to make this light and fruity salad dressings. ,Who said money can’t buy taste?’ All our dressings are available in various high quality and exclusive delicatessen foodstores throughout the country – and by mail order – in 500 ml and 250 ml sizes – also in 2.5 catering packs. (In unserem Haushalt macht meine Frau die Vinaigrette dressings" weiterhin im Nu immer selbst, mit allerlei Kräutern angereichert.)
 
-- The Relish In Spice Co., Arundel, West Sussex:
Ketchup ist ein Massenprodukt. Um den Mehrwert zu rechtfertigen, bemerkt der Firmengründer (Gründungsjahr: 2007), Mark Strachan, ein Michelin Star Trained Chef, „to produce a range of very high standard products known for its quality rather than quantity and made with the best and as many local ingredients possible“. Seine Produkte wurden bereits mit Preisen gekrönt.
 
-- The Cook Menu, Head Office in Tonbridge:
England hat ein Riesenangebot an Fertiggerichten, sei es in den Regalen der Supermärkte; es sind Gerichte, die oft nach nichts schmecken, oder bessere als Take-Aways oder über den Heimdienst beziehbar. Jamie, Development Chef, schrieb unter dem Motto „Staying in is the new going out”: Homemade tasting meals and puddings made in our kitchen in Kent using exactly the same ingredients and techniques that you would use at home … (wenn man Zeit hätte). Vor 11 Jahren gegründet, beliefert die Küche bereits eine wachsende Reihe von unabhängigen Einzelhändlern, von Oxted bis Clapham (London). Die Preise können als erschwinglich bezeichnet werden. Die meisten Portionen kosten unter £ 4, und sie schmecken sehr gut.
 
Wie argumentiert er angesichts der Rezession? „So despite the best efforts oft he economic doomsayers, our glass at COOK remains resolutely half full. With belt tightening going on across the land it seems that people are abandoning eating out in favour of entertaining or just treating themselves at home. That is where COOK can come in – enjoy a meal cooked by one of our chefs for a fraction of the cost of going out, and no babysitter required.”
-- Fairfields Farm Crisps, Colchester, Essex:
Das ist wiederum ein Massenprodukt, etwa von Walker zentnerweise hergestellt. Wir kennen eine Reihe von viel kleineren Herstellern, die sich von den Grossanbietern differenzieren, so auch der obige Hersteller von „gratifyingly special crisps (as you say)“. Zuerst waren die Inhaber Kartoffelbauern auf ihrer Fairfields Farm. Sie kennen ihre Scholle, und ihre Kartoffeln werden mit natürlichen Zutaten aus dem lokalen Umkreis bereichert (Crisps mit Käse und Petersilie). Die Crisps sind frei von GM, „Coeliacs" und Gluten und kommen aus der Pfanne.
 
-- Rod And Ben’s, Kenn, Devon:
Wer hat nicht genug von den Trockenbeutel-Suppen? Wer hat noch Zeit, eine Suppe in der Küche zuzubereiten? Die jungen Leute wissen nicht mehr, wie man sie macht – wie zu Grossmutters Zeiten. Die Gründer dieser „Suppenküche“ kommen wiederum aus dem Anbau – diesmal von Gemüse. „We think the secret to our soup’s success is keeping things simple and straight forward. This is why we believe that the best soups should always insist on only accommodating the finest imaginable ingredients.” Ich habe einige davon auf der Messe goutiert (zum Beispiel „Rüben und Koriander“). Empfehlenswert und von der kräftigen und nicht dünnflüssigen Art!) Ich erwarte jetzt eine Musterkollektion von „Wintersuppen“.
 
-- Topping Pie Company, Doncaster:
Ich habe meine Frau gebeten, mir keine Supermarkt-Pie mehr aufzutischen, seitdem ich innerhalb eines Projekts entdeckt habe, wie echte Pies schmecken sollten. Dieser Hersteller, 1960 gegründet und jetzt in der 2. Generation, entstand aus einer Metzgerei. Dank der Gemahlin des Inhabers begann die Pie-Produktion ernstlich im Jahr 1991 – „using the same recipes and totally natural ingredients that she had always used at home“. Das Fleisch stammt weiterhin aus der Familienmetzgerei. Toppin Pie wurde mit etlichen Preisen ausgezeichnet.
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Ein bisschen „Schleichwerbung“ darf mir niemand verargen: Wer als Leser mit Nahrungsmittelnzu tun hat und seriöse Hersteller sucht, dem werden wir gerne innerhalb unserer ebenfalls kleinen Beratungspraxis weiterhelfen, nicht nur in England, sondern anderswo in der EU – auch Anbieter aus der Schweiz, die im Ausland Fuss fassen möchten.
 
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