Textatelier
BLOG vom: 16.09.2008

Atmosphärisches aus unseren Bilderbuchferien im Tessin

Autorin: Rita Lorenzetti-Hess, Zürich-Altstetten
 
Eindrücklich erlebte ich die Ankunft in Magadino TI, kurz vor der Schiffstation. Von Quartino herkommend, steigt die Uferstrasse ganz leicht an, bevor sie in geschwungener Linie nach links abbiegen muss. An diesem Punkt wird der See (Lago Maggiore) in seiner Weite sichtbar. Palmen wachsen am Strand. Hier überfliessen die Gefühle. Angekommen im Süden! Oder gar am Meer?
 
Ich dachte dazu: Wenn hier ein übermütiger Autofahrer mit übersetzter Geschwindigkeit daherbraust, landet er im Wasser. – Falsch! Ein kleiner Park mit den erwähnten Palmen und daneben ein grosser Autoabstellplatz sorgen schon für den schützenden Abstand.
 
Die Freude kann alles grösser machen als es ist. Nicht immer werden wir verstanden, wenn wir begeistert erzählen. Da heisst es dann manchmal, man rede das Blaue vom Himmel herunter. Und wer die Arbeit schwänzt, macht „Blauen“, ist auch eine Redensart, die auf eine verführerische Farbe hinweist.
 
Während der ganzen Ferienwoche sahen wir dieses heitere Lago-Maggiore-Blau. Täglich. Zauberhaft. Vom Himmel geschenkt, nicht mit den Händen fassbar und doch real da. So einflussreich, dass auch die Berge blau erschienen. Und sind doch alle von dichtem, grünen Wald ummantelt.
 
Ich will aber nicht verschweigen, dass es auch im Tessin regnen kann, sogar sehr stark regnen kann. Während unserer Ferien konnten wir aber das Klischee der südlichen Heiterkeit erfahren und bestätigen. Dazu beigetragen haben auch unsere Enkelkinder Mena und Nora. Ihretwegen sind wir nach Orgnana oberhalb von Magadino ins Reka-Dorf gekommen. Reka-Dörfer* sind Orte für familienfreundliche und kindergerechte Ferien (www.reka.ch).
 
Da gibt es viel Platz für bewegungshungrige Kinder, verschiedene Spielgeräte und in Orgnana manche Treppe, weil das Dorf an den Hang gebaut ist. Genau das Richtige für Kinder aus Paris. Kinderlärm gehört hier zur Selbstverständlichkeit und ist kein Problem. Hier konnte sich die 2-jährige Nora zum Wiesel entwickeln, kann jetzt rasch und eigenständig davonspringen.
 
Sie hatte sofort guten Kontakt zum Grossvater. Nachdem sie ihn kritisch musterte und sich vielleicht erinnerte, dass sie ihn kenne, trieb sie den Speichel in lustigen Blasen über die Lippen. Und er selbstverständlich noch eine Spur kräftiger zurück. Und sofort war die Freundschaft wieder gefestigt.
 
Im Reka-Dorf können sogar Grossmütter wieder zu Kindern werden. Ich wunderte mich selbst darüber, dass es noch möglich ist, mit bald 7 Jahrzehnten auf dem Buckel „Versteckis“ (Versteckspiel) zu spielen, um Hausecken zu flitzen und sich hinter Gebüschen ins Gras fallen zu lassen. Wären wir länger geblieben, hätten vielleicht andere Väter, Mütter oder Grosseltern noch mitgespielt. Sie beteiligten sich aber insofern daran, als sie darauf achteten, dass die Spielregeln eingehalten wurden. Mena hätte manchmal so gerne die Augen geöffnet, bevor die vereinbarte Zahl aufgerufen worden war. Es gab da strenge Beobachter.
 
In diesem Feriendorf beobachtete auch ich die Anwesenden, ihre Spiele, ihr Dasein. Und wir plauderten miteinander. Man hatte Zeit. Ich freute mich an den geduldigen Vätern und Müttern, die ihre 1- oder 2-jährigen Sprösslinge schaukelten, mit ihnen erste Schritte übten, sie auf die Rutschbahn setzten und dafür sorgten, dass sie unten wohlbehalten ankamen. Wir alle gaben aufeinander Acht, und Mena sogar noch im sprachlichen Bereich.
 
Schon vor Monaten, als sie bei uns in Zürich in den Ferien war, sagte sie auf einmal:„Grosy, du sagst immer wieder ,Ja was!’“ Wiederholungen stören sie. Mena muss man etwas nur einmal sagen, dann sitzt es. Trotzdem sie mich damals rügte, beantwortete ich das, was mich erstaunte erneut mit „Ja was!“ Tönt doch sicher besser als beispielsweise „Das gits ja nöd.“ (Das gibt es nicht.) Dies ist auch so eine Redensart. Diese stört aber mich.
 
Damals in Zürich notierte sie mit Strichen, wie oft sie mich beim Wiederholen erwischt hatte. So sind Kinder. Sie beobachten und sagen unverblümt, was sie entdeckt haben. Und wir Erwachsene können unser Tun und Reden reflektieren und falls nötig und überhaupt möglich ändern.
 
Wenn Mena im Tessin vorwurfsvoll „Grosy!! Ja Was!“ rief und dabei die Augen rollte, war ich selber erstaunt, wie oft mir dieser Ausspruch herausrutschte. Also suchte ich nach einer neuen Variante, denn vieles, was mir erzählt wird, ist doch erstaunlich. Ich rief dann nach einer Rüge von ihr „LAGO MIO“, auch so ein Wort, das Erstaunen ausdrückt. Hier besonders passend, weil wir uns über dem Lago Maggiore befanden und gerne nach ihm ausschauten. In solchen Momenten war er mein oder unser See, wie es der Ausspruch meint. Der schöne See, der zauberhaft blaue See.
*
*Wie ich auf der Homepage von www.reka.ch entdeckte, ist das Feriendorf in Orgnana ob Magadino-Vira nicht mehr aufgeführt. Schon im Winterschlaf. Es bietet keine Herbst- oder Winterferien an.
 
Von einer Tessin-Kennerin habe ich erfahren, dass die Magadino-Seeseite „Pfnüselküste“ (Die Küste, wo man sich eine Erkältung holt) genannt werde, weil hier im Winter die Sonne lange Zeit zu tief stehe, um sie zu beleuchten und erwärmen. Dafür ist sie im Sommer wunderschön.
 
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