Textatelier
BLOG vom: 22.11.2008

Kurzgeschichten-Wettbewerb (2. Teil): „Kain und Abel“

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Professor Hans Lehmann hatte ein heimliches und nur sich selbst eingestandenes Verhältnis zur Verfasserin, die sich in der 2. Geschichte kaschiert. Spasseshalber nannte der alte Faun sie ab und zu Chloé. Hätte er Daphnis geheissen, wäre er viel jünger gewesen und hätte er die Schalmei gespielt wie er die Schafe hütete …
 
Kurzgeschichte 2: Kennwort Chloé
Mord und Totschlag, Unfälle und Verbrechen schüren die Phantasie. Kain dominiert die Welt. In der Küche ist wieder einmal der Teufel los. Ritas Eltern schreien einander wegen einer Bagatelle an. Manchmal geht dabei Geschirr in Brüche. Das ist keine griechische Hochzeit. Rita schleicht sich aus der Küche weg in ihr Refugium im 1. Stock. „Wenn 2 sich streiten …“ Dieser Satz gilt nicht für die friedfertige Rita.
 
Dort oben, in ihrem Zimmer, lebt Rita in ihre eigene, heile Welt eingesponnen: Eine Pastorale, weit abseits von der sie einengenden und todlangweiligen Kleinbürgerwelt. Aber als 16-Jährige genügte ihr die virtuelle Welt nicht mehr. Sollte sie jetzt, heute Abend, ihr Elternhaus verlassen, endlich Reissaus nehmen? Sie packte ihre Tasche. Es regnete, und sie ergriff Tasche und Schirm. Das Wichtigste, fiel ihr im letzten Augenblick ein, hatte sie vergessen. So stopfte sie die Blechbüchse mit ihren Ersparnissen in die Tasche. Leichtfüssig huschte sie aus dem Elternhaus.
 
„Liverpool European Capital of Culture 2008“: Höchst fraglich, trotz „The Beatles“ und Fussball. Eine triste, mörderische Stadt, selbst wenn es nicht regnet. Nein, sie wollte nicht ziel- und planlos weitergehen durch die Strassen des Aussenquartiers. Der Wind peitschte ihr Regen ins Gesicht, und vorüberfahrende Autos warfen Wasserfontänen auf. Ein Autofahrer fuhr langsam an ihr vorbei und hielt inne. Ein junges Mädchen allein lässt sich nicht von einem Fremden ansprechen, und Rita beschleunigte ihre Schritte.
 
Der Autofahrer folgte ihr und sprach weiterhin auf sie ein: „Haben Sie keine Angst … Ich habe Mitleid mit Ihnen … wohin wollen Sie … ich fahre Sie dorthin … sehe ich so aus, ob ich Schlechtes im Sinn hätte?“ Sie schaute ihm ins rundliche Gesicht. Es war ein älterer Herr im Anzug. „Ich bin bloss ein Fabrikbesitzer auf dem Heimweg.“ Das klang vertrauenserweckend. Zögernd stieg sie ins Auto und setzte sich neben ihn. „Also, wohin soll ich Sie fahren?“ fragte er sich nochmals. „Zum Bahnhof“, antwortete sie. „Wohin geht die Weiterfahrt?“ Einsilbig sagte sie: „London.“ „Aber das ist eine lange Bahnfahrt für Sie um diese Zeit“, meinte er. „Warum reisen Sie nicht morgen weiter? Meine Frau wird sich bis dann Ihrer annehmen …“ Rita nahm seine Einladung an. Das hätte sie nicht tun sollen.
 
Nach einer halbstündigen Fahrt erreichten sie sein Haus. Er parkierte im Vorhof, half ihr aus dem Auto und trug die Tasche ihr voran. Im Haus brannte kein Licht. Rita hatte Bedenken und blieb stehen. „Ich verstehe“, sagte der Mann, „warten Sie bei der Türe.“ Er rief mehrmals den Namen seiner Frau. „Warten Sie, ich telefoniere ihr. Sie ist gewiss bei der Nachbarin.“ Rita überhörte sein Gespräch. „Sie kommt sofort“, sagte er erleichtert. „So brauchen Sie nicht länger draussen stehen zu bleiben“, winkte er sie ins Haus.
*
Lange fahndete die Polizei nach der vermissten Rita. Viele Halbwüchsige verschwinden unauffindbar. Rita, stellte sich heraus, war nicht das einzige Opfer dieses Mörders. Er lauerte seinen Opfern nächtlich auf seiner Pirschfahrt durchs Industriequartier auf. Das blieb nicht unbemerkt. Das Indiz: Ritas Blechbüchse wurde in einer Küchenschublade gefunden.
 
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