Textatelier
BLOG vom: 10.09.2009

Im letzten Moment misslungen: meist selbst verschuldet

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Der Ausspruch „Immer im letzten Augenblick misslingt etwas – meist selbstverschuldet“ ist für mich zur Binsenwahrheit geworden. Dazu einige Fallbeispiele im ‚wahrsten Sinne‘ …
 
Mein Bericht ist fertig, und ich will ihn ausdrucken – ausgerechnet dann versagt der PC. Immer wieder spielt mir der PC solche Streiche, und er erfindet stets neue … Hand aufs Herz, muss ich mich fragen, habe ich die Tasten falsch bedient?
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Nach einem Treffen in Hamburg musste ich am nächsten Tag mit dem Auto nach Breda (NL) zu einem Firmenbesuch weiterfahren. Endlich entkam ich aus dem Stau und fuhr zügig voran und holte die verlorene  Zeit ein. So bog ich beruhigt von der Strasse ab und sichtete ein Restaurant auf einer Anhöhe. Das Essen war gut und der Sonnenuntergang schön. In 3 oder 4 Stunden sollte ich in Breda sein, rechnete ich mir aus. Auf der Weiterfahrt erreichte ich eine vermaledeite Ringstrasse um einen Riesenort, aus der ich nicht entkommen konnte. Aus Mangel an Aufmerksamkeit fuhr ich mehrmals und immer rascher im Kreis herum, um die richtige Ausfahrt zu erwischen. Ich verlor dabei viel Zeit. „Aber Ende gut, alles gut“, dachte ich Stunden später, als ich endlich den Wegweiser nach Breda sichtete.
 
Inzwischen war es Mitternacht geworden. „Hier ist das erleuchtete Bürohochhaus!“ erkannte ich das Gebäude wieder, das ich anderntags aufsuchen musste. Und unweit davor war ein Hotel. Dort verbrachte ich die Nacht und schlief gut und tief. Rechtzeitig erwacht, setzte ich mich am Morgen hinters Steuer. Ich war nur einen Katzensprung vom Besuchsort entfernt. Ich zweigte von der Autobahn ab und blieb gänzlich unerwartet mitten in einer riesigen Baustelle stecken. Ich hätte vorher anhalten und mich erkundigen sollen, ob ich links oder rechts einbiegen sollte. Eine Tankstelle war gleich nebenan! Dort hätte ich mich erkundigen sollen. Beim besten Willen fand ich die richtige Ausfahrt nicht. Es gab kein Entkommen. So fuhr ich geradeaus weiter und erreichte endlich eine Ortschaft, immerhin die richtige, wie ich erleichtert feststellte – ich war wirklich in Breda angelangt.
 
Nicht ohne zusätzlichen Zeitverlust fuhr ich durch den Stossverkehr weiter Richtung Bahnhof. Wie komme ich von dort am schnellsten zum Fahrziel? Wie schon so oft zuvor, bahnte mir ein Taxi den Weg zum Ziel. Ausser Atem war ich sehr dankbar, dass mir im geräumigen Büro des Geschäftsführers eine Tasse Tee angeboten wurde, und ich meine Gedanken sammeln konnte.
 
Der Trick mit dem als Lotse vorgespannten Taxi hat mich immer wieder im letzten Augenblick gerettet. Ausserdem baue ich immer mehr Zeitpuffer ein. Man muss sich zu helfen wissen, so weit man durch Erfahrung klug wird, wenn überhaupt.
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Besonders klug verhielt ich mich nicht, als ich, wiederum aus Norddeutschland kommend, diesmal nach Nürnberg fahren musste. Kurz zuvor hatte ich von Basel aus die Hinfahrt erfolgreich bewältigt. Mein Kollege wunderte sich, weshalb ich die Navigationshilfe im Mietauto nicht eingeschaltet hatte. „Das Zeug ist mir viel zu kompliziert“, sagte ich ausweichend. Dennoch setzte er es in Betrieb. Ich fuhr alsdann allein wohl 8 Kilometer weiter, wie vom Gerät angewiesen, bog bald links, bald rechts ab, bald vor, bald nach den Verkehrsampeln. „Das Ding führt mich im Kakao herum“, ärgerte ich mich und hatte obendrein genug vom monotonen Geplärr meiner „Lotsin“. Ich schaltete das Gerät aus.
 
Lassen Sie mich meine Irrfahrt mit allen Finessen der Unvernunft beschreiben: Auf nachtdunklen Landstrassen erreichte ich schliesslich durstig und ausgehungert Nürnberg, nach langer Fahrt „ins Blaue“, will besagen „durchs Schwarze“. Ich stöberte ein Hotel auf, das eher einer Obdachlosen-Unterkunft glich und war froh, dass ich dem Auto entkam. Auf der Hauptstrasse fand ich ein einziges noch geöffnetes Lokal, ein italienisches, und kriegte etwas Schmackhaftes aufgetischt. Dabei sinnierte ich, welche französische Redensart ich hätte befolgen sollen: „Aide-toi – le ciel t’aidera“ (Hilf dir – der Himmel wird dir helfen) oder „On a souvent besoin d’un plus petit que soi“ (Man braucht oft einen Kleineren als sich selbst). Ich hätte die kleine Navigationshilfe nicht ausschalten sollen, denn auf mich war kein Verlass, Himmel hin oder her.
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Bei heiklen Geschäftsbesuchen ziemt es sich oft , keinen Notizblock zu zücken. Der Gesprächspartner soll entspannt plaudern – alles ausplaudern. Kaum ist ein längeres Gespräch vorbei, spute ich mich zur Niederschrift, bevor der Gedächtnisschwund einsetzt. Ist mein Terminplan zu eng abgesteckt, muss ich – sobald ich Zeit habe – mühsam Bruchstücke aus dem Gedächtnis klauben. Das kostet wiederum viel Zeit. In anderen Worten, ein Termin wahrgenommen ist nichts wert, wenn der Gesprächsinhalt nebulös wird. Heute baue ich auch hier Zeitfenster zwischen Gesprächen ein, damit ich meinem Kunden ein stichhaltiges Dokument geben kann. Denn erst korrekte und umfassende Notizen erlauben später eine Analyse.
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Ich sammle viel Druckgraphik. Viele der Bilder sind vergilbt, verfleckt oder vom Wasser und anderen Flüssigkeiten beschädigt. Manchmal gelingt die radikale Methode: Ich tauche das Blatt in eine verdünnte Lauge. Das Telefon klingelt. Ich konnte den Druck nicht mehr rechtzeitig aus dem Behälter heben und im frischen Wasser spülen – das Blatt war futsch. Heute prüfe ich jedes Blatt genau und versuche festzustellen, ob es ein solider Farbdruck oder handkoloriert ist. Selbst dann kommt es zu vielen Fehldiagnosen. Fazit: lieber ein beflecktes Blatt zu erhalten wie es ist als keines mehr zu haben. So kann nichts schief gehen.
 
Das Leben ist ein langer Lehrgang. In der Hast und im Stress misslingt vieles. Das muss ich mir immer wieder einbläuen, denn meine angeborene Ungeduld bäumt sich rasch. Wie viele Male habe ich dieses Blog durchgelesen, um von meiner Hast ausgelöste Fehler zu korrigieren. Und immer bleiben etliche für die Argusaugen des Textateliers übrig … Nur die Ruhe und Besinnung können es bringen, rede ich mir ein – bis es zur nächsten Panne kommt.
 
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