Textatelier
BLOG vom: 17.10.2009

Hommage an Paul Klee: Unsichtbares sichtbar machen

Autor: Emil Baschnonga, Schriftsteller und Aphoristiker, London
 
Am Samstag, 10.10.2009, lagen auf dem Wimbledoner Ramschmarkt auf einer Blache kreuz und quer Bücher ausgeschüttet, als wären sie Äpfel oder Kartoffeln. Nein, ich kaufe Bücher nie kiloweise.
 
Unverhofft sichtete ich den etwas verblassten grünen Bucheinband „Kandide oder Die beste Welt – Eine Erzählung von Voltaire“. Klein gedruckt war hinzu gefügt: „Mit 26 Federzeichnungen von Paul Klee.“ Es war ein Erstdruck dieser Zeichnungen von Paul Klee, vom Kurt Wolff Verlag 1920 veröffentlicht. Wie ich es anblätterte, fesselten mich die skurril anmutenden Illustrationen, die dem Text eingefügt waren. Dabei erinnerte ich mich, dass ich in meiner Bibliothek ein anderes Werk dieses Künstler hatte: „Paul Klee on Modern Art“, die 1. englische Übersetzung seines deutschen Texts, zuerst vom Benteli-Verlag, Bern-Bümbliz, herausgegeben, mit der Wiedergabe von Klees Vortrag anlässlich der Ausstellung seiner Werke in Jena (1924). Auch dieser Text war ausschliesslich mit seinen Federzeichnungen illustriert, diesmal ganzseitigen, beginnend mit Klees Selbstporträt aus dem Jahr 1911.
 
Als ich meinen Fund in der Hand hielt, stellte ich fest, dass die oberen Buchecken des Einbands vom gestrigen Regen erwischt worden sind. Das bedeute für mich nur eines: Das Buch möglichst rasch in meine „Notfallstation“ zu Hause einzuliefern. Mit dem Haartrockner gelang es mir, den Schaden weitgehend zu beheben, ehe das Wasser in die Seiten übergreifen konnte.
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So kann ich endlich mit meinem Blog beginnen. Dier weltberühmte Künstler Paul Klee wurde 1879 in Münchenbuchsee bei Bern geboren. Klee war ein Schweizer Maler, deutscher und schweizerischer Abstammung. Er starb 1940 in Muralto.
 
Seine Mutter war Sängerin, sein Vater Musiklehrer. Als Siebenjähriger erlernte er das Violinspiel und blieb mit der Musik lebenslang eng verbunden. Seine Gemälde, besonders auch seine Federzeichnungen, zaubern Melodien und Rhythmen vor die Augen. Musik und Malerei sind miteinander verschwistert. Paul Klee war ebenfalls in der Literatur und in der Philosophie bewandert.
 
Nach dem humanistischen Gymnasium in Bern studierte Klee an der Kunstakademie in München und unterrichtete alsdann im Bauhaus, eine führende deutsche Akademie der Kunst und Architektur. Expressionismus, Kubismus und Surrealismus beeinflussten seine Werke.
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Genug des kurzgefassten Hintergrunds. Mich drängt es, jetzt in sein aphoristisch einprägsames Exposé über die Moderne Kunst einzusteigen – als interessierter Laie, muss ich betonen. Klees Wissen reicht weit über sein malerisches Genie hinweg, und es befähigte ihn, sein Künstlerselbst sprachlich hiebfest zu fassen. In der Vorrede hat mir Herbert Read einen Schlüssel zum besseren Verständnis gegeben mit dem Hinweis: „To explain art – that, for Klee, meant an exercise in self-analysis. He therefore tells us what happens inside the mind of he artist …“ (sinngemäss übersetzt: Zur Erklärung der Kunst stützt sich Klee auf die Selbstanalyse ab, gibt preis, was in ihm vorgeht im kreativen Akt …). In diesem Zusammenhang entwachsen verschiedene Ausdrucksformen (Variationen) der Realität. Es gehört zum Vorrecht des Künstlers, seine eigene Form zu wählen und dank seines malerischen Rüstzeugs zu vermitteln. Aber im Text seiner Abhandlung findet sich der Ausdruck: Uns trägt kein Volk. Darin findet sich das Dilemma, wenn nicht gar die Tragik des modernen Künstlers, nämlich sich innerhalb der Gemeinschaft zu verständigen, oder besser, sich verständlich zu machen.
 
In seinem Werk über die Moderne Kunst gelingt es Klee schrittweise, diese Kommunikationslücke zu überbrücken, wie er schrieb: „Ich werde versuchen, Ihnen einen Einblick ins Studio des Malers zu geben, und glaube, dass wir eventuell ein gemeinsames Verständnis finden – zwischen Laie und Künstler.“ Klee beschreibt den kreativen Prozess durchwegs in kurzen 2- oder 3-zeiligen Absätzen. Das hat mir sehr geholfen, der ich langatmige/weitschweifige Darlegungen schlecht ertrage. Klee veranschaulicht diesen Prozess mit seinen Federzeichnungen – zuerst, mit den Federstrichen eines verwilderten Gartens, dann einer Siedlung bei Bern, gefolgt von einer Strasse Richtung Schwabingen, Dampfer im Hafen. Um diese Bilder zu erkennen, brauchte ich keine Steighilfe. Aber dann verlor ich den Faden. Erst der Titel „Schlaf“ decke mir die ineinander verschlungenen Spiralen auf, vom Schlaf geschlauft. Seine Zeichnung des Wasserspiels anderseits erweckt spontan meine Erinnerung an das vor wenigen Wochen genossene Wasserspiel im Palais Royal in Paris. Genau so ist es gewesen! Wie ich die 3 fliegenden Vögel betrachte, fliegen einige an mir vorbei, denn ich sass während der Lektüre im sonnenbeschienenen Garten.
 
Jetzt will ich plötzlich mit Paul Klee spielerisch mithalten und hole einige Blätter. Mein feinstiftiger „Parker Pen“ wurde zu meinem Rüstzeug. Wie sehe ich die variierende Realität meines Kräutergartens? Ich kritzle vergnügt Salbei, Petersilie, Lavendel, dazwischen die Blätter eines Rebenstecklings, der Wurzeln gefasst hat und frage mich, wie kann man die unsichtbaren Wurzeln sichtbar machen? Das bringt nur Paul Klee fertig! Ich kehre mich um: Ja, die Liege, halb unterm Baumschatten, halb besonnt. Dann erscheint unsere Hauskatze und miaut. Wie oft habe ich sie nicht an heissen Tagen unterm Tannengeäst dösen gesehen? Also kommt auch sie in meine Federzeichnung.
 
Nein, meine dilettantischen Versuche falte ich und lege sie als Lesezeichen in Paul Klees Buch, dankbar dafür, dass er mir einiges Unsichtbare sichtbar gemacht hat.
 
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