Textatelier
BLOG vom: 07.03.2010

Die Kunst, zu altern. Und die Kunst, nicht zu altern

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Als junger Mann habe ich verschiedentlich Kurzgeschichten über alte Menschen geschrieben, und ich füge hin und wieder einige neue hinzu (siehe unten angefügte Auswahl). Jetzt, wie auch ich Jahresringe angesetzt habe, möchte ich einige Gedanken zum Alter mit Ihnen, lieber Leser und liebe Leserin, teilen, ob jung oder alt.
 
Jung oder alt? Das ist genau die Frage. Denn selbst wenn man älter oder gar alt geworden ist, kann man jung bleiben – bis zuletzt. Das liegt weder an der Haarfarbe zwischen Grau und Weiss, noch  daran, wie wir uns in den alten Knochen fühlen.
 
Blicke ich ins Gesicht eines alten Menschen, erkenne ich, ob er wirklich alt geworden oder im Herzen jung geblieben ist, Anteil nimmt an der Welt ringsum, Güte und Verständnis ausstrahlt und Freude bereiten kann.
 
Wie altert man vorzeitig? Hartherzigkeit, Egoismus und Raffsucht sind verlässliche Vorzeichen, die schon junge Menschen ins fortgeschrittene Alter treiben. Bei jeder Gelegenheit wollen sie sich eigene Vorteile sichern – sei es in der Warteschlange, im Gerangel beim Ausverkauf, als Autofahrer – einfach immer und überall. Diese Charakterzüge verschärfen sich im Verlauf der Jahre. Sie altern schlecht.
 
Scharfe Kontraste im Verhalten alter Leute bemerke ich, wenn ich am Samstag den Ramschmarkt in Wimbledon durchstreife. Viele gehen an einem Stock und ziehen ein Einkaufswägelchen hinter sich her, womit sie anderen Leuten den Weg versperren, besonders wenn sie in gestapelten Kleiderhaufen und zwischen dem Geschirr wühlen. Die Gier ist ihnen ins Gesichtern gemeisselt. Sie humpeln von einem Stand zum andern und füllen die Taschen. Sie feilschen hemmungslos. Zwingt sie Armut dazu? Das mag nur ausnahmsweise der Fall sein. Immer wieder begegne ich den gleichen Greisen und Greisinnen und gehe ihnen aus dem Weg. Im Sammelband „Le Musée pour Rire“ von Honoré Daumiers Karikaturen (um 1839 veröffentlicht), finde ich viele Typen, denen ich auf meinem Rundgang auf Flohmärkten begegne.
 
Zum Ausgleich treffe ich alte Leute, mit denen ich gerne einige Worte austausche. Oft halten sie Ausschau nach Geschenken für ihre Enkelkinder, seien es Kinderbücher, Puppen und anderes Spielzeug. Aber im Grunde wollen viele von ihnen mit Leuten plaudern, vereinsamt und alleinstehend, wie sie sind. Ihnen gehört meine Sympathie. Sie haben ihre Würde bewahrt.
 
Was mich zu solchen Flohmärkten hinzieht, ist im unten verlinkten Blog vom „Wie ,Die Lorelei’ den Geduldsfaden schützen kann festgehalten. Dort bin ich der rundlichen alten Dame begegnet, die mir die „Lorelei“ zitierte ...
Die Kunst zu altern –  oder wie man jung bleibt, das gehört zur Lebenskunst – glänzend von André Maurois in seinen Essays „Un art de vivre“ geschildert, als er „das gewisse Alter“ erreicht hatte. Ich bekenne mich uneingeschränkt zu seinen analytisch durchleuchtenden Aussagen.
 
Jenseits der „Sturm-und-Drang“-Jahre, verknüpft mit Liebe und anderen altersgemässen Obliegenheiten, beginnt André Maurois seinen Exkurs, betitelt „Deux différentes manières de bien vieillir“ (Zwei Arten, um gut zu altern) mit diesen 2 kurzen Sätzen:
En somme il y a deux manières de bien vieillir. La première, c’est de ne pas vieillir. (Im Grund gibt es 2 Arten um gut zu altern. Die 1.ist, nicht zu altern.
 
Der Ruhestand ist für mich tabu. Ich kann ab diesem Jahr, ohne nennenswerte zeitliche Einschränkungen, genau das tun, was ich in meinem ganzen Leben am liebsten getan habe: schreiben. Das hält mich jung und beschwingt. Ich weiss, dass ich ein Glückspilz bin, wie so viele andere Leute mit künstlerischem Einschlag. Die Passion – einer Lieblingstätigkeit vorbehalten – geht so weit, dass ich dem Alter kein Recht über mich einräume, solange ich denken kann und von schlimmen Altersgebresten verschont bleibe.
 
Dabei lasse ich es hier bewenden, wiewohl André Maurois‘ Essay viele andere Facetten aufgreift, die die das Alter bereichern.
 
Zum Abschluss zitiere ich hier einige meiner altersbezogenen Aphorismen, um das Thema abzurunden:
 
Leben nach dem Tod? Leben vor dem Tod!
 
Lange muss einer durch die Seelenlandschaft wandern, bis er aus den Hügeln zu den Bergen kommt.
 
Stafettenlauf: Der Zeit gehört der Stab – der Lauf den Menschen.
 
Und als er am Ende seiner Karriere den ganzen Sandkasten endlich für sich allein hatte, merkte er, dass die Zeit ihm allen Sand weggeblasen hatte.
 
Kann das Alter nicht mehr Pfeil sein, will es Sehne werden.
 
Epilog: Er ist längst vor seinem Tod gestorben.
 
Wunschverzicht ist beste Altersvorsorge.
 
Jahresringe. Wie sie zählen, ohne zu sägen?
 
Altklug wird jung alt.
 
Das Alter wird erst vernünftig, nachdem in der Jugend viel Lehrgeld bezahlt worden ist.
 
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