Textatelier
BLOG vom: 16.07.2010

Tobias und Heidi: Liebe und vergebliche Liebesmüh’

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Heute wird Liebe zumeist mit Sex verwechselt. Im Sommer erblüht die Liebe, und unser Herz erglüht. In jungen Jahren verliebt man sich gar leicht. Manche Liebesknospe entfaltet keine Blüte. Eine Raupe hat sie gefressen.
 
Ich erwachte aus einem sehr angenehmen Traum. Wer aus einem Traum erwacht, verliert meistens den Faden, und es bleibt eine offene Frage, wie der Traum geendet hätte. Neben mir schlief meine Frau tief. Sie ist und bleibt meine Liebe, auch dann, wenn man keine Liebesschwüre mehr ablegt.
 
Ohne nennenswerten persönlichen Bezug möchte ich hier diesem Traumfetzen zur Wirklichkeit verhelfen und damit aufdecken, wie kapriziös ein Liebesgefühl, einem Strohfeuer gleich, erlischt. Der Wind verweht die Asche.
 
Tobias und Heidi
Der junge Tobias hatte sich in das schmucke Heidi verliebt. Sie trafen sich oft in einem kleinen Café und tauschten ihre Meinungen zur Welt, wie sie ist oder sein sollte, aus.
 
Die Kunst, mitsamt einem Teil der Philosophie, wurde ebenfalls aufgegriffen. Gemeinsam besuchten sie das Stadtmuseum und gaben einander ihre Vorlieben preis. Sie gingen natürlich auch ins Kino oder Stadttheater. Tobias lud sie in Kirchen ein, wenn barocke Kammermusik gespielt wurde. Hinzu kamen Wanderungen in die nähere Umgebung, verbunden mit einem Aufschnittteller und Käse in der Laube einer Gartenwirtschaft genossen.
 
Erst nach einem halben Jahr küssten sie sich erstmals zaghaft. Die Intimität war und blieb begrenzt, wie es sich damals noch schickte. Eines Tages teilte sie ihm mit, dass sie ein halbes Jahr als Aupairmädchen in einer jüdischen Familie in „Golders Green“ (London) verbringen werde. Während ihrer Abwesenheit kam es zu einem regen Briefwechsel. Jeden neuen Brief, den er von Heidi erhielt, las er immer wieder, bis der nächste eintraf. Heidis Bekanntenkreis erweiterte sich. Sie wurde zu Partys eingeladen. In einem Brief erwähnte sie einen schwarzen Jüngling, dem sie über seine Haarkringel strich, die sich wie „Stahlwolle“ anfühlte. Na ja, daraus konnte er ihr keinen Vorwurf machen. Hin und wieder verstrichen Wochen, ehe er ihren nächsten Brief erhielt. Später gestand sie ihm, dass ihr der Hausherr und Familienvater den Hof mache. Sie liess sich von ihm beschenken. Es sei besser, schrieb er zurück, dass sie solche Geschenke ausschlage. Wollte sie ihn eifersüchtig machen?
 
Der Tag ihrer Rückkehr kam. Ihr Treffpunkt war in dem Teil der Altstadt bestimmt, den sie oft zusammen aufgesucht hatten. Er freute sich darauf, sie stürmisch zu umarmen. Etwas verspätet tauchte sie auf. Sie trug Dauerwellen, fiel ihm auf. Auch trug sie Stöckelschuhe und überragte ihn. Etwas befremdet stand er ihr gegenüber.
 
Sie trafen sich wieder wir einst. Ihm fiel auf, dass sie bewundernde Blicke, die ihr galten, auffing und diskret erwiderte, doch nicht so heimlich, als dass er sie nicht bemerken konnte. Eines Tages wünschte ihm eine ihrer Freundinnen „viel Spass in den Bergen“. Es stellte sich heraus, dass ihr Heidi gesagt hatte, dass sie mit Tobias in einer Pension in den Alpen einige Ferienwochen verbringen werde … Das sei alles noch offen, sagte Tobias ausweichend. Natürlich stellte er Heidi zur Rede. „Hast du etwas dagegen? Wir kennen uns seit bald 2 Jahren und sollten endlich unsere Zukunft ins Auge fassen“, erwiderte sie beinahe barsch. War das ein Wink, dass er sich mit ihr verloben sollte? Der Schreck verschlug ihm die Sprache. Er wollte nicht von Heidi beschlagnahmt werden.
*
Der Zirkus gastierte in der Stadt. „Das wäre doch eine Abwechslung, meinst du nicht?“
 
„Wenn du willst“, verdankte sie seine Einladung eher kühl.
 
So bezogen sie anderntags in einer bereits von Zuschauern dicht besetzten Bankreihe eine Sitzlücke. Heidi sass auf der rechten Seite von Tobias; neben ihm schloss sich eine Reihe von fröhlich plaudernden italienischen Mädchen an. Warum lachte Heidi nicht zu den Spässen des Clowns? Das Mädchen neben ihm jubelte und applaudierte hingerissen. Und Tobias hielt mit, jubelte und klatschte Beifall.
 
Als Tobias das Programm auseinander faltete, streifte er versehentlich die Hand der Italienerin. „Pardon“, sagte er, sich ihr zuwendend. Wie Sonnenschein strahlte sie ihm ins Gesicht. „Stupendo“, fand Tobias das passende italienische Wort, das er weniger auf den Clown bezog, als vielmehr auf die lebenslustige Südländerin mit langem, schwarzem Wellenhaar. „Si, si“, nickte sich bekräftigend.
 
„Komm wir gehen, das ist stinklangweilig hier“, gab ihm Heidi einen Stoss aus dem Ellbogen. Und wie antwortete Tobias? „Du gehst, ich bleibe sitzen!“
*
Hier mündet der Traumfetzen in die Wirklichkeit ein. Während der Pause trieb er von der Mädchenschar mitgerissen zum Gelati-Stand. Was hielt ihm die Italienerin zu? Eine Bombe Vanilla-Eis. „Nein“, winkte sie ab. „Das kostet dich nichts, mein ‚amigo’.“
 
Dieses Mädchen hiess Carla, sprach ordentlich deutsch und arbeitete in einem Reisebüro. „Ich stamme aus Oberitalien. Kennst du Torino?“ beantwortete sie seine Frage spontan offenherzig. „Nein“, gab Tobias zu, „aber ich möchte Torino und dich kennen lernen.“
 
Ade Heidi‚ Bienvenuto Carla!
 
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