Textatelier
BLOG vom: 14.03.2011

Gedanken zu den Katastrophen in Japan und zu den Medien

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
 
Schön wär’s, wenn wir kein Erdöl, das zu permanenten und allerseits akzeptierten Katastrophen führt, brauchten. Nach dem gigantischen Seebeben mit der Tsunami-Folge in Japan begannen Raffinerien zu brennen, so jene des Konzerns Cosmo Oil in Shiogama, einem Vorort der Hafenstadt Sendai, und eine weitere in der Stadt Iichihara im Grossraum Tokio. Besonders eindrückliche Bilder liegen von der brennenden Raffinerie in Chiba vor. Es kam zu zahllosen weiteren Bränden, auch im Turbinengebäude des Atomkraftwerks Onagawa, der aber bald gelöscht werden konnte und keinen weiteren Schaden anrichtete.
 
Schön wär’s, wenn wir kein Erdgas brauchten, das leicht entzündlich ist – und ja genau deshalb als komfortabler Energieträger genutzt wird. Unfälle (Brände und Explosionen) damit sind nie auszuschliessen.
 
Schön wär’s, wenn wir keine Elektrizität brauchten. Ihretwegen wurden ganze Landschaften abgeändert: Gewässer kanalisiert und gestaut, riesige Staumauern gebaut (und Berge ausgehöhlt), Übertragungsleitungen in die Landschaften gestellt.
 
Und schön wär’s auch, wenn es keine Kernkraftwerke (zur Elektrizitätserzeugung) brauchte; dann hätten wir die radioaktiven Abfälle nicht, mit denen wir uns so schwer tun – im Gegensatz zum Erdöl, das Luft und Wasser  permanent verseucht (wie kürzlich wegen US-Schlampereien bei Tiefenbohrungen den Golf von Mexiko als Extremfall). 1 AKW ist in der Schweiz allein für die Speisung der Fernsehsender und -geräte nötig, die uns mit so viel Herzblut vor den AKW-Gefahren warnen.
 
Schön wär’s, wenn wir keine riesigen Windräder in relativ intakten Landschaften ansehen müssten, die mit gewaltigen Betonblöcken im Boden verankert sind.
 
Ästhetischer wär’s, wenn wir die Solardächer, die den Feuerwehreinsatz gefährlich machen, nicht ansehen müssten und uns an schönen Ziegeldächern erfreuen könnten.
 
Unterschiedliche Wahrnehmung
Allein, es hat nicht sollen sein. Was immer auch an Katastrophen rund um die Energieproduktion und -verteilung geschieht, sie werden medial banalisiert, als unabwendbare Fakten hingenommen. Die Ausnahme sind die Atomkraftwerke, wo die Sicherheitsmassnahmen wegen der Strahlengefahren einzigartig hoch sind, abgesehen von Liederlichkeiten, die es sogar in diesem Sektor gibt.
 
Vergleichbar in Bezug auf die Auswirkungen (nicht aber in Bezug auf die Ursachen) mit dem momentanen, katastrophalen atomaren Geschehen in Japan war die Katastrophe, die am 28.03.1979 im KKW Three Mile Island bei Harrisburg im US-Bundesstaat Pennsylvania ihren Anfang nahm: Um 04.36 Uhr Ortszeit fielen bei Arbeiten an der Kondensatreinigungsanlage im Block 2 die beiden Hauptspeisepumpen aus. Die Kühlung stieg aus, es kam zu einer Teilkernschmelze. Nach dem Unfall wurden radioaktiver Wasserstoff und Wasserdampf aus dem Reaktor entfernt – auch durch Ablassen in die Atmosphäre.
 
9 – an der obersten Grenze
Noch jetzt ist nicht genau auszumachen, bei wie vielen japanischen Kernkraftwerken auch noch kaum beherrschbare Kühlungspannen aufgetreten sind, wobei alle Werke aber abgeschaltet sind; es sind mindestens ihrer 3 – kaum zu fassen in einem technisch so hochstehenden Land auf dem bekanntermassen unruhigen Untergrund, in einem Land übrigens, das selbst beim erdbebensicheren Bauen Massstäbe gesetzt hat. Kleinere Erdbeben sind in Japan an der Tagesordnung. Die verheerendste bekannte Katastrophe erlebte das Inselreich 1923, als ein Beben der Stärke 7,9 (diesmal laut der japanischen Meteorologie-Agentur: 9) weite Teile Yokohamas zerstörte; mehr als 143 000 Menschen kamen damals um. Nach der Richterskala gelten Erdbeben der Stärke 8 als Grossbeben; Erdbeben über der Stärke 9,5 sind noch nie gemessen worden. Dieser Rekordwert wurde 1960 an der chilenischen Küste erreicht, wo es mehr als 1600 Tote gab.
 
In Japan schiebt sich die riesige pazifische unter die eurasische Platte, und sie beide können sich verzahnen – woraus sich exorbitante Spannungen und Erdbewegungen ergeben können, wenn sie sich schliesslich lösen und entladen. Sogar die Erdachse wurde bei dem jüngsten Beben etwas verschoben. Auch die Finanzen von Japan werden zusätzlich erschüttert: Die Schuldenkrise, die aber nicht exportiert wird, vergrössert sich dadurch sicher.
 
Für Stärken um 9 auf der Richterskala waren die betroffenen Kernenergieanlagen in Japan offensichtlich nicht ausgelegt. Kernenergieanlagen können dort nur solchen von 7,75 widerstehen, wobei auch die Lage des Epizentrums eine Rolle spielt. Das ist die Folge einer eindeutigen Fehleinschätzung, das heisst von einer Unterschätzung der Gefahren. Die Stabilität reichte somit für das gewaltige Seebeben mit dem nachfolgenden Tsunami vom 11.03.2011 um 14.45 Uhr Ortszeit (06.45 Uhr MEZ) bei weitem nicht aus.
 
Vorerst wandte sich die Aufmerksamkeit dem KKW Fukushima (Fukushima Daiichi) zu, das von der Tokyo Electric Power Company betrieben wird. Wegen ihrer 16-jährigen Tradition der Berichtfälschungen hat diese einen miserablen Ruf – im ehrenwerten und sympathischen Japan hätte man so etwas nicht erwartet.
 
Das Beben hatte zum Ausfall der Stromzufuhr geführt, und die 3 Dieselgeneratoren, die hier einzuspringen hatten, stellten nach kurzer Einsatzzeit gleichzeitig ab, wahrscheinlich weil das Kraftwerk von einer Flutwelle getroffen wurde; jedenfalls ist das vorerst einmal die naheliegende Erklärung.
 
Der in diesem Fall zur Radioaktivitätsverminderung filtrierte, aber noch immer radioaktive Dampf musste kontrolliert abgelassen werden, um einen Überdruck im Sicherheitsbehälter (Containment) zu verhindern, der dieses Schutzgefäss zu Bersten hätte bringen können. Wegen einer internen Wasserstoffexplosion hat er bereits Schaden genommen. Zum Glück für das Inselvolk wurde die radioaktive Wolke über den Ozean verweht.
 
Die Süppchenkocher
Bereits als die Bemühungen, die Brennstäbe zu kühlen, mit noch ungewissem Ausgang vonstatten gingen, begannen die mit AKW-Gegnern liierten Mitte-Links- und Linksmedien in aller Welt, ihre politischen Anti-KKW-Süppchen zu kochen. Daraus ergab sich auch eine grandiose Verzerrung in der Gewichtung der medialen Berichterstattung. Das Seebeben und die von diesem ausgelösten, verheerenden Riesenwellen, die ganze Küstenstädte wie Sendai, 130 km vom Epizentrum entfernt, beschädigten oder gar wegspülten und sicher zu weit mehr als die bisher genannten 10 000 Todesopfern führten, wurden medial verhältnismässig marginal abgehandelt. Hunderttausende Menschen sind obdachlos. Selbst Tausende von Toten und unermessliche Umweltschäden verblassten förmlich hinter den Spekulationen über befürchtete oder tatsächliche teilweise bereits erfolgte Kernschmelzen.
 
Vorsorgliche Evakuierungsmassnahmen von etwa 170 000 Menschen aus der KKW-Umgebung gerieten beinahe stärker in den Fokus als die Verwüstungen, die tatsächlich bereits vorlagen. Farbintensive Bilder von brennenden Häusergruppen oder Raffinerien wurden zur Untermalung der Mutmassungen über das Geschehen in den Kernenergieanlagen als Hintergrund benützt und so in einen visuellen Zusammenhang gebracht. Wie bei einer hirnlosen Hollywood-Inszenierung wurde so bei überschäumender künstlerischer Freiheit eine apokalyptische Stimmung zwecks Quoten- bzw. Auflagesteigerung erzeugt.
 
Das Schweizer Fernsehen DRS begann unter einem solchen Flammen-Dekor auf einer Fotomontage mit Strahlenkranz und Rettungsszene die Tagesschau am Abend des 12.03.2011 mit einer banalen schematischen Darstellung des Geschehens von Tschernobyl vom 26.04.1986, das mit einem Super-GAU endete. Bei der Berichterstattung wurde aber nichts davon gesagt, dass es sich in Japan um einen anderen Typ (Siedewasserreaktoren) als in Tschernobyl (der sogenannte RBMK-1000, bei dem die Moderation mit Graphit erfolgt und die erzeugte Wärme durch Wasser in Druckröhren abgeführt wird) handelt und somit dasselbe nicht passieren kann. Zudem gab es in Tschernobyl kein Schutzgebäude und das Werk war nicht abgestellt.
 
Die Medien verbreiteten eine Stimmung, als ob der Weltuntergang bereits im Gange sei, und die Reaktionen aus dem verängstigten Publikum waren dementsprechend. Dass die japanischen Behörden unter solchen Rahmenbedingungen eher zurückhaltend informieren mussten, ohne Vorsichtsmassnahmen zu vernachlässigen, ist verständlich. Für sie galt es, eine Massenpanik verhindern (für Reaktionen als Masse sind die Japaner sehr anfällig – nicht allein sie), weil die Lage sonst zusätzlich dramatisiert und noch chaotischer geworden wäre, mit all den Folgen. Das Elend wurde durch den Ausbruch des Vulkans Shinmoedake im Süden des Lands noch akzentuiert, der Asche und Geröll bis in eine Höhe von 4 km auszuspeien begann.
 
Die Medien waren es dann, die den japanischen Behörden eine ungenügende Informationspolitik vorwarfen, ohne einzusehen, dass sie diese selber provoziert hatten. Schon so setzen Fluchtbewegungen aus Japan ein.
 
Am Gängelband der Medien
Mir ist an diesem Fall die Tragik des Ausgeliefertseins an die Medienberichterstattungen wieder einmal mehr bewusst geworden. Beim japanischen Seebeben, beim Eintreffen des Tsunamis und beim Ausfall von Kühleinrichtungen in den veralteten, 1971 in Betrieb genommenen Werken, die angeblich Ende dieses Monats März 2011 stillgelegt worden wären, war ich nicht dabei, sondern weit abseits der schwarzen Wolken aus brennendem Erdöl und aus radioaktiv angereichertem Wasserdampf – irgendwo in der Schweiz. Hier vertrieb sich die Politik die Zeit mit der Frage, ob es sinnvoll sei, über eine Verteuerung des Benzin-Liters um 28 Rappen das Klima zu retten, während in Japan weiterhin, dunkle Dreckwolken aus allzufrüh und unkontrolliert verbrennendem Erdöl in den Himmel, der dort Takama-no-hara heisst, stieg.
 
Es braucht Tausende von Augen, die beobachten und ein einigermassen zusammenhängendes Bild über die Geschehnisse zeichnen können. Und immer ist die Wahrnehmung subjektiv. Zum Glück erweitert das Internet die Menge der Quellen bedeutend. Was nicht in den Kram passt, wird von vielen Qualitätsmedien ausgeblendet, der Rest überzeichnet. Dabei sind Bilder im Moment wichtige Instrumente der Manipulation. Es ist abzusehen, dass sie wegen ihrer Beeinflussbarkeit mit der Zeit ihre Glaubwürdigkeit und ihre Bedeutung verloren haben werden. Das gut begründete Wort, dem Gewicht zukommt, wird sie zweifellos in ein Schattendasein versetzen, falls die Lesekompetenz noch einige Jahre über die Runden gebracht werden kann.
 
Die Bilder von den Flutwellen, die an der japanischen Westküste ganze Häuser und Bahnen wegspülten, waren stark genug, bedurften keiner Kosmetik. Und wenn Kernkraftwerke in grosser Gefahr sind, ist es unnötig, sie mit dem Bild von Erdölbränden zu hinterlegen.
 
Umso eindrücklicher ist unter solchen katastrophalen Vorgängen das Verhalten der Japaner – bewundernswert. Da wird die Ruhe weitgehend bewahrt, wenig geklagt und nicht geplündert. Shintoismus und Buddhismus haben eine grössere Naturnähe als die monotheistischen Buchreligionen; Gläubige fühlen sich in den Kreislauf des Lebens eingebunden und ertragen es tapfer, wenn ihnen die Götter nicht günstig gesinnt sind und gigantische Verwüstungen entstehen – wie damals in Hiroshima und Nagasaki.
 
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