Textatelier
BLOG vom: 15.02.2005

Verloren in den schaurig traurigen Industriepärken

Autor: Emil Baschnonga, London

Diese im Titel erwähnten Industriepärke beschwören einen verfilmten Buchtitel herauf: Die Ballade vom traurigen Café von Carson McCullers; ich weiss nicht warum, da dieser Titel keine direkte Bewandtnis mit diesem Blog hat. 

Diese industriellen Einöden verkrüppeln meine Freude am Reisen. Am Anfang meiner Karriere waren die Geschäftssitze meistens im Herzen der Städte. Zwischen Besuchsterminen nutzte ich die Zeit zu Streifzügen durch Paris, Brüssel, Antwerpen, Köln, Turin und vielen anderen Städten. Das erquickte mich ungemein und befreite mich vom Stress. Ich genoss etwa ein Mittagessen in einem bescheidenen Lokal, ehe ich mich mit frisch geordneten Papieren zum nächsten Treffen aufmachte. 

Der Umzug der Corporate Headquarters, weg etwa vom Pariser Boulevard Haussmann zur Peripherie in die kolossalen Geschäftstürme im „La Défense“ (Beispiel: Saint-Gobain, heute in „Les Miroirs“ untergebracht) fand ich schwer zu verkraften, weil ich, von Wind und Regen gepeitscht, mich sozusagen fortlaufend und obendrein mit schwerer Brieftasche belastet, durchfragen musste. Von Ferne sah ich „Les Miroirs“. Wie ich mich ihm näherte, wurde das Gebäude von anderen förmlich verschluckt. Von der Vogelschau aus betrachtet, glich ich einem armseligen Käfer, der über weite Plätze krabbelte, Treppen erklomm und sich da und dort im Labyrinth der unterirdischen Passagen verlief. Immerhin konnte ich nach diesen Strapazen mein zentral in Paris gelegenes Hotel aufsuchen und anschliessend in einem mir wohlbekannten Bistro wieder zu Kräften kommen. Hier spreche ich als junger Mensch, voller Tatendrang und Unternehmungslust. 

Der Anstoss zu diesem Blog kam mir gestern. Wieder einmal musste ich einen wichtigen Kunden in Crawley (West Sussex, GB) besuchen. Zwar habe ich diese an und für sich recht kurze Autofahrt oft überstanden. Zum Glück hatte sich der Nebel gelüftet, und die Sonne schien. Von der M25 bin ich an der rechten Stelle in die M23 eingebogen und mit gedrosseltem Tempo Richtung Gatwick weitergefahren. Ich erwischte die richtige Ausfahrt und folgte dem Wegweiser nach Crawley. „Jetzt kann mir nichts mehr passieren“, dachte ich voreilig und erwischte flugs die falsche Flanke des grandios „Manor Park“ genannten Industriegeländes. Nur keine Panik, sprach ich mir zu, ich habe mehr als genug Zeit. Dann geriet ich, dank Bauarbeiten, in eine arg eingeengte Fahrbahn – und steckte unweigerlich im Stau fest. Ich schaffte es noch rechtzeitig, denn, von der Erfahrung gewitzigt, hatte ich einen Zeitpuffer eingebaut. 

Vor etwa 4 Jahren fuhr ich in einem Riemen von Lübeck nach Breda (Holland) und erreichte kurz vor Mitternacht erschöpft mein Hotel, knapp 10 Kilometer von meinem Treffpunkt entfernt. Wiederum, dank Bauarbeiten, verfuhr ich mich furchtbar. Die Zeit wurde knapp. Beim Bahnhof von Breda musste ich ein Taxi anheuern, dem ich bis zum Ziel nachfahren konnte. Ich traf 10 Minuten verspätet ein und war froh, dass mir eine Sekretärin eine Tasse Tee vorsetzte. Meine Kehle war von dieser Nervensäge ganz ausgetrocknet, was nicht die beste Voraussetzung für einen Vortrag ist. 

Irgendwo in Flandern hatte ich einmal grosse Mühe, einen Industriepark zu finden. Dank vieler falscher Auskünfte kam ich wiederum ins Schlamassel. Wie immer auf solchen Irrfahrten hielt ich Ausschau nach einem Pöstler. Den fand ich zum Glück gerade noch zur rechten Zeit. 

Selbst als ich den Industriepark gefunden hatte, kostete es viel Zeit, das richtige Gebäude zu orten. Erstens waren die Zufahrtsstrassen menschenleer und zweitens fehlten Strassenschilder sowie Hausnummern. Meine Nachfrage in einem Empfangsraum beliebte zu scheitern. Die gute Dame vom Empfang war zwar hilfsbereit und erkundigte sich. Mit etwas Glück wurde man schliesslich fündig. Zum Glück gibt es heute das Handy! 

Ich könnte ein Buch über meine traurigen Balladen schreiben, sogar so, dass der Leser seinen Spass an meinem Elend hätte. Ich persönlich bedaure die vielen Arbeitnehmer, die ihre Werktage in solchen tristen Industriepärken fristen müssen. Kein Laden ist dort zu finden, kein Café, nicht einmal ein trauriges. Die einzige Zufluchtsstätte ist bestenfalls eine Kantine. Ansonsten sitzt man mit einem Sandwich verloren hinterm Pult. Nicht ganz: Man kann immerhin noch etwas plaudern und Klatsch aufwärmen.

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