Textatelier
BLOG vom: 16.08.2011

Allein daheim: Aus dem Tagebuch eines Strohwitwers

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Am Samstag, 21.04.2010 sind meine Frau und unsere 2 Söhne für 14 Tage nach Iran verreist. Für meine Söhne war es der 1. Aufenthalt im Mutterland. Ihr Wissensdrang hat sie dafür gut vorbereitet: Sie kennen die Kulturgeschichte Persiens und drängten seit Jahren schon, endlich dieses Land zu bereisen. Meine Frau und ich waren das letzte Mal vor der Revolution in Persien gewesen. Ich zehre noch immer von meinen Erinnerungen. Lilys Verwandte sprechen fast durchwegs alle englisch oder französisch, einige sogar deutsch, denn sie haben in Europa studiert. Seither haben etliche unter ihnen ihre Heimat verlassen. Aber ihre Frohnatur ist ihnen und den Leuten, denen sie begegneten, voll und ganz erhalten geblieben, besonders auch diejenige meiner Frau. Das Familienhaus in Teheran besteht noch, ist aber baufällig geworden. Der „Palast“ nebenan ist heute ein Museum.
 
Lily musste sich nach der Sitte des Islams kleiden. Nur so gekleidet wurde sie im Flugzeug zugelassen. Diese schwarze Tracht hat sie mit einigen farbigen Bordüren verziert. Immerhin trug sie keine Burka. Ihr buntes Kopftuch gefiel mir. Sonst hätte ich sie nicht mehr erkannt.
 
Ich blieb zurück und winkte ihrem Taxi zum Flughafen nach, drehte mich um, und wusste mich allein. Natürlich hatte Lily den Kühlschrank aufgefüllt. Ich musste mich ihrem Willen unterwerfen, und die Handhabung des Mikrowellenofens und des Kochherds erlernen. Sie dachte, ich würde verhungern. Keineswegs. Am Sonntagabend briet ich mir ein saftiges Steak und machte einen Salat, den ich mit Löwenzahn und anderem Gartengrün vervollkommnet habe. Ich entkorkte eine Flasche Wein und liess mir den Tropfen schmecken. Soweit war alles gut, und ich ging früh schlafen.
 
Frühzeitig wie immer erwachte ich diesmal allein und erstmals als Strohwitwer. Mein Nebenan fehlte mir. Der Montag nahm seinen sehr ruhigen Verlauf. Ich hatte Lily gebeten, ja niemandem zu sagen, dass ich allein hause. Ich wollte nicht, dass Bekannte vorbeikommen, um mich zu füttern. Stille und Ruhe will ich haben. Aber soviel Stille und Ruhe war mir des Guten zu viel. Ich hatte keine Lust zum Schreiben. Die Sonne schien heiter, doch der Gedanke, mich dem Garten zu widmen, verdross mich. So fuhr ich stattdessen in die Gärtnerei und kaufte Geranien, Begonien und allerlei Kräuter, die ich in die Pflanzenkübel verteilte. Soll ich mir eine Omelette „aux fines herbes“ machen oder … Das Oder gewann. Mit der gestrigen Sonntagszeitung gewappnet ging ich ein Curry essen. Das Lokal war am Montag beinahe leer. Ich musste mich mit meiner eigenen 1-Person-Gesellschaft begnügen. Das fällt mir sonst nicht schwer, aber diesmal drückte mich die Melancholie. Sollte ich in einem Pub einen Gesprächsanschluss suchen? Jahre sind es her, seit ich das letzte Mal in einem Pub gewesen bin. So zottelte ich wie ein verlassener Hund ins Haus zurück.
 
Während der nächsten Tage beschäftigte ich mich allerlei „Krimskrams“: Ich putzte den Patio mitsamt den Gartenmöbel, rahmte einig Bilder ein, brachte allerlei Pflanzen aus ihrem Winterschlaf in den Garten, jätete und stutzte Büsche. Ich blieb dabei nach wie vor griesgrämig. Dann kam der Regen und verhängte Hausarrest über mich. Das Geschirr stapelte sich in der Küche. So wusch ich Töpfe, Teller, Tassen und Besteck.
 
„Du musst dich aufrappeln“, sprach ich mir zu und entschloss mich, im Oberdeck des Doppeldeckerbusses abgelegene und mir unbekannte Teile von London zu besichtigen. Das erquickte mich einigermassen. Ich konnte nach Herzenslust die Leute beobachten. Aber meine Exkursionen zu schildern, dazu fehlt mir noch immer der Mumm.
 
Meine Vorfreude auf die Rückkehr meiner Familie erwachte. Und dann kam der Tag der Erlösung. Mit Sack und Pack kamen sie ins Haus, gesund und munter. Ihre Reiseaufnahmen wurden im PC gespeichert. Ihr Erzählstoff war Balsam in meinen Ohren. Ich war gerettet.
 
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