Textatelier
BLOG vom: 01.11.2011

Darrieus-Windturbinen und anderes vom Winde Verwehtes

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
 
Wer, von Montreux kommend, Richtung Martigny ins Unterwallis einreist, wird auf vielfältige Weise mit dem Allerweltsthema Energie konfrontiert. 450 Meter über dem Talboden, am Südhang des Rhontetals, grüsst das Schwerölkraftwerk Chavalon (Gemeinde Vouvry VS), das zwischen 1965 und 1999 in Betrieb war und seither ruht. Es verbrannte seinerzeit die Schwerölrückstände aus der nahen Raffinerie Collombey.
 
Der hoch gelegene Standort wurde nicht etwa gewählt, um der Belegschaft eine schöne Aussicht zu verschaffen, sondern um die Abgase nicht im Tal zu haben. Ein 120 Meter hoher Kamin, in den Berghang eingepflanzt, sorgte dafür, dass die Abluft in noch höhere Schichten gestossen wurden. Nach der Stilllegung begannen die Planungen für die Umwandlung in ein Gaskraftwerk; doch die Bauarbeiten verzögerten sich wegen der Einsprachen von Umweltschutzorganisationen. Im Nachgang zu den energiepolitischen Verwirrungen seit der Fukushima-Tsunami-Katastrophe dürften sich die Chancen, wieder Kohlendioxid (CO2) in grossem Stil in die Atmosphäre einzubringen, leider wieder verbessert haben.
 
Den Weg auf dem Unterwalliser Talboden begleiten ganze Wälder aus Hochspannungsmasten, zwischen denen sich gelegentlich ein Windrad dreht, wenn es von den Berg- und/oder Talwinden angeblasen wird. Zwar konnte das von kanalisierten Gewässern, Verkehrs- und Energieinfrastruktur ohnehin beeinträchtigte Landschaftsbild nicht mehr viel mehr verschandelt werden; doch sind die Riesenpropeller immerhin in der Lage, es noch zusätzlich zu beunruhigen.
 
Das erste Windkraftwerk, dem man entgegenfährt, befindet sich seit 2005 bei Collonges-Dorénaz; es hat eine Nabenhöhe von 98 m und kann 2 MW Elektrizität produzieren, wenn alles gut bläst. Die 3 Ruderblätter weisen einen Durchmesser von 71 m auf. Die 2008 aufgestellte Anlage bei Martigny ihrerseits ist etwas grösser (aber nicht höher), hat einen Rotordurchmesser von 82 m und eine installierte Leistung von 2,05 MW.
 
Die Leistung einer Windkraftanlage hängt zum wesentlichen Teil mit der Rotorfläche zusammen. Grosse Rotoren sind auch beim Zerhacken von Vögeln, Fledermäusen und dergleichen fliegenden Tieren effektiver. Der Wirkungsgrad nimmt mit der Schnelllaufzahl Lambda zu, dem Verhältnis von Umfanggeschwindigkeit der Blattspitzen zur Windgeschwindigkeit. Ein höheres Lambda bedeutet eine höhere Drehzahl, die ihrerseits weniger Blattflächendichte verlangt. Das bedeutet, dass eine schnelllaufende Turbine mit schmalen Flügeln den Wind gleich gut wie eine langsamlaufende mit breiten Flügeln nutzt. Schnellläufer benötigen aber zum Anlaufen höhere Windgeschwindigkeiten, weil sie weniger Angriffsflächen bieten. Umgekehrt ist es bei Langsamläufern, wobei hier die Strömungsverluste mit der Windgeschwindigkeit stark zunehmen.
 
Bei meiner Reise ins Unterwallis vom 25.10.2011 interessierte ich mich diesmal vor allem für die 1987 erbaute Darrieus-Windturbine bei der Kläranlage Martigny, ganz in der Nähe der Autobahn A9. Der Rotor hatte am späten Nachmittag jenes Tages bereits Feierabend und stand wie die Silhouette einer aufgeschnittenen Zitrone aufrecht neben Apfel-Intensivanlagen. Die Rotorblätter, die je nach Standort wie eine senkrechte Stange und dann wieder wie Zwiebelkonturen anmuten, empfindet man als ein Kunstwerk zur Auflockerung der meist kubischen Kläranlagebauten.
 
Der Darrieusrotor hat einen Durchmesser von 19 m, eine Höhe von 28 m und ist 8 Tonnen schwer. Die Drehzahlen der Rotoren werden mit 33 und 50 pro Minute angegeben. Im Gegensatz zu den Windmühlen mit den hohen Stangen, die in luftiger Höhe nur schwer zu warten sind (und deshalb in den USA wie etwa in kalifornischen Windparks oft vergammeln), befinden sich bei Darrieus-Rotoren, die scherzhaft auch „Schneebesen“ genannt werden, Getriebe und Generator gut zugänglich auf Bodenhöhe. Das verbilligt die Konstruktion und den Unterhalt. Ein Vorteil dieses Anlagetyps ist auch, dass er nicht stets nach der Windrichtung gedreht werden muss. Der Asynchrongenerator in Martigny läuft mit 110 kW und 160 kW Leistung bei 1000 bzw. 1500 pro Minute, wenn er läuft.
 
Der Darrieus-Rotor wurde um 1930 durch den Franzosen Georges Darrieus, Forscher auf den Gebieten von Ballistik, Strömungslehre und Thermodynamik (1888‒1979), erfunden und in den USA 1931 patentiert. Der Rotor besteht aus 3 oder 2 (Martigny) über eine vertikale Achse gespannte Bögen. Er benötigt eine Anfahrhilfe, die beim Modell von Martigny aus einem Biogasmotor besteht, läuft mittelschnell und erzielt etwa 35 bis 40 % Wirkungsgrad, weil die Flügel vom Wind nur lückenhaft angeströmt werden – und darin liegt der Hauptnachteil dieser Technologie. Moderne Windkraftwerkanlagen bringen es auf etwa 50 %.
 
Darrieus-Anlagen der 100-kW-Klasse wurden in grosser Zahl in den Niederlanden und in England gebaut, in kleinerer Menge auch in Irland, Schweden und Deutschland.
 
Windmühlen sind eine uralte Form der Energiegewinnung. Sie wurde oft aus dem Gefühl heraus konstruiert, haben keine übertriebenen Dimensionen und wirken gefällig. Viele romantische Anlagen sind eine Augenweide. Sie nahmen mit dem Aufkommen der effizienteren Energieproduktionsanlagen und wegen des billigen Erdöls dann allerdings bis zur Bedeutungslosigkeit ab. Nach dem Ölschock um 1973 änderten sich die Anschauungen wieder, und inzwischen, gefördert durch die sogenannte „Energiewende“ nach Fukushima, kam es zu einem Gigantenrennen bei den Windenergieanlagen, das sich allein schon wegen der an Grosspropellern auftretenden Kräfte (Eigengewicht und unregelmässige Luftströmung) als Irrweg erweisen könnte.
 
Die Windenergie bringt in Anbetracht des jährlich um 3 Prozent wachsenden Energiehungers herzlich wenig. Sie ist ein vernachlässigbarer Aspekt bei der Lösung der Energiewende (Abkehr von der Kernenergie). Die bisherigen Erfahrungen (Landschaftsverschandelungen, Lärmbeeinträchtigungen und Dezimierungen der Vogelwelt) sind katastrophal. In England haben ausländische Betreiber und Eigentümer britischer Windfarmen, einst von hohen Subventionen angelockt, in den vergangenen 2 Jahren 535 Millionen Pfund (rund 700 Millionen CHF) von britischen Steuerzahlern dafür bekommen, dass sie ihre Windparks doch bitte abschalten. Die meisten Windenergieanlagen produzieren Strom nämlich genau dann, wenn er nicht gebraucht wird und nicht, wenn er – etwa an windstillen Frostabenden – stark nachgefragt wird. Zudem tragen sie zur Überlastung der Netze bei.
 
In Deutschland stehen ähnliche Entwicklungen bevor. Ein paar Windkraftwerk-Ruinen in der Landschaft werden unsere Nachfahren ertragen und sich lächelnd an die gute alte Zeit der Riesen-Windmühlen erinnern. Nur allzu viele solcher Gestänge sollten es nicht sein. Wir können uns allein schon wegen der Hochspannungstrassen, die im Zeitalter der Energiewende noch stark ausgebaut werden müssen, doch nicht über einen Mangel an Landschaftsverschandelungen beklagen.
 
Quelle
Weber, Rudolf: „Webers Taschenlexikon ,Erneuerbare Energie’“, Olynthus-Verlag, Vaduz 1995.
 
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