Textatelier
BLOG vom: 05.11.2012

Liederlich sein, nur nicht bei der deutschen Sprache!

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Niederrhein D
 
Die Nymphe Germania stirbt, und zwar im Bewusstsein, dass ihre seit Jahrtausenden rein erhaltene Sprache von ihren Kindern geschändet, befleckt, beschmiert, zerstückelt, verdreht und zerschnitten wird." Justus Georg Schottel beklagt ein Übermass an Fremdwörtern und einen liederlichen Umgang der Deutschen mit ihrer Muttersprache (1).
 
„Je weiter sich die Alltagskommunikation ins Reich der Blogs und sozialen Netzwerke verlagert, desto liederlicher wird unser Umgang mit Rechtschreibung im Allgemeinen und den Kommaregeln im Besonderen, nicht aus Unvermögen, sondern aus der Absicht heraus, auf Tasten einen ähnlichen Ton anzuschlagen wie früher am Telefon“ (Martin Helg, Redakteur der NZZ) (2).
 
Zuerst einmal ist interessant, aus welcher Zeit die Aussagen kommen. Justus Georg Schottel, der sich selbst Schottelius nannte, war deutscher Dichter und Sprachgelehrter der Barockzeit. Seine Befürchtung stammt aus dem Jahr 1642. Martin Helg schrieb seine Feststellung im Jahre 2012, also 370 Jahre danach.
 
Über die Beurteilung der Aussagen lässt sich trefflich streiten. Ich habe über die neue Rechtschreibung bereits am 04.10.2012 gebloggt (siehe unten). Mich interessiert besonders der Begriff „liederlich“. Es wurde schon beklagt, dass dieses Wort zu den Wörtern gehört, die Gefahr laufen, in Vergessenheit zu geraten.
 
Was heisst „liederlich“? Das Wort bedeutet locker, freizügig, leichtfertig, unzüchtig, zügellos, lose, lasterhaft, lasziv, gewagt, ordinär, schamlos, gewöhnlich, fragwürdig, anrüchig.
 
Das Wort gab es schon im Mittelhochdeutschen, aber es bedeutete schlaff, schwach oder auch leicht und zierlich in Wuchs und Bewegung.
 
Im 15. Jahrhundert bedeutete liederlich leicht, geringfügig und unwichtig, im 16. Jahrhundert wurde daraus leichtfertig und ausschweifend.
 
Liederlich kommt nicht von Luder, sondern von lotter, was schlampig bedeutet. Lotterleben, das verlotterte Lotterbett, hat damit zu tun, ebenso wie die Verben schlottern und schlummern. Das Substantiv Liederlichkeit wird seit dem 15. Jahrhundert im Sinne von Unachtsamkeit, Leichtsinn und grosser Freigebigkeit benutzt. Wahrscheinlich spielen dabei auch die kirchlichen Moralvorstellungen eine Rolle.
 
Eine Professorin (Mona 1231) beantwortet im Internet die Frage „Was ist liederlich-Liederlichkeit?” so: „Die Begriffserklärung wäre ja abgeschlossen. Ein liederlicher Lebenswandel bedeutet, alles schleifen zu lassen, mit einer gewissen Gleichgültigkeit an das Leben heran zu gehen. Frei nach dem Motto: Nach mir die Sintflut.
 
Ich kann mich dem Eindruck nicht erwehren, dass in unserer Zeit immer mehr Menschen einen solchen Lebenswandel führen, seien es nun Männer oder Frauen. Sie lassen sich gehen, denken nicht über die Konsequenzen ihres Handelns für sich, andere und die Umwelt nach. Mag sein, dass mit dem Verschwinden der ,wahren Werte', die Liederlichkeit zunimmt” (3).
 
Auch in der Musikwelt und in der Literatur taucht der Begriff auf. Francesco Madeo hat 2006 ein Buch mit dem Titel „Hymne auf ein liederliches Leben“ geschrieben. In seiner autobiographischen Entwicklungsgeschichte erzählt der Autor mit viel Witz und Komik aus dem Leben seines Antihelden Vatta, dem liederlichen Grossvater, der das Leben der ganzen Familie beherrscht.
 
Faulheit führt zu Arbeit, Ausschweifung braucht Selbstzucht und Sinnlichkeit ist ein Talent: Francesco Madeo, ein Houellebecq mit Herz.« Falter, Wien (4),
 
Das „Radio LORA“ strahlt über UKW und Internet „Liederliches und Kleinkunst“ aus, vor allem mit Beiträgen von Kabarettisten und Entertainern.
 
Sogar ein Barockensemble hat den Begriff im Namen: „Eine liederliche Gesellschaft von allerley Humor". Es bezieht sich auf den Komponisten Heinrich Ignatz Franz von Biber, den die Musiker als Vorbild sehen, besonders wegen der Serenade Battallia", in der Biber „eine liderliche Gesellschaft von allerley Humor" zum Leben erweckt: „während eine wilde Schlacht tobt, hat ein verwegenes Grüppchen offensichtlich nicht mehr ganz nüchterner Gesellen nichts besser zu tun als – zugegeben: leicht ungeordnet – mehrere Liedchen grölen” (5).
 
Interessant ist, dass sogar Platon die Flöte als Blasinstrument ablehnte, weil ihre Musik die Jugend zum Müssiggang und liederlichen Lebenswandel verführe (6).
 
Und „am liederlichsten“ geht es in Claudio Monteverdis Oper „L'incoronazione di Poppea" zu, die vom römischen Kaiser Nero und seiner Geliebten Poppea und von gleichgeschlechtlichen Eskapaden des Kaisers und seines Hofs handelt. – Übrigens: Ich finde die Musik betörend!
 
Wenn auch der Begriff nicht mehr so häufig vorkommt, das, was er aussagt, wird nicht aussterben!
 
Wie halten wir es nun damit? Ich will es so formulieren: Ein wenig Liederlichkeit, im Leben etwas liederlich zu sein, macht das Leben lebenswert! Denn was wäre das Leben, wenn wir nicht ab und zu „die Zügel schleifen liessen“, „Liedchen grölen“, „faul“ und ein wenig „leichtfertig“ sind? Ich meine, ziemlich langweilig!
 
Nur: bei der deutschen Sprache versuche ich, nicht liederlich zu sein. Einfach ist das nicht, wie man feststellen kann, wenn Sie sich den Beitrag der oben genannten „Professorin“ genau durchlesen. Schreibt sie doch:“Ich kann mich dem Eindruck nicht erwehren,..“ . Dieser Fehler wäre mir nicht unterlaufen, denn trotz aller Liebe zur Liederlichkeit, was Bastian Sick behauptet – „Der Genitiv ist dem Dativ sein Tod“! – gilt für mich nicht, ich liebe den Genitiv!
 
Quellen
 
 
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