Textatelier
BLOG vom: 29.12.2013

Wie man dem Drangsal beikommt … oder auch nicht

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Erstmals benutze ich das Wort „Drangsal“, das sich im Plural als „Drangsale“ in alle Richtungen entfaltet und uns alle mehr oder weniger quält und bedrängt. Das beginnt mit dem Stuhldrang, besonders unterwegs, wenn die Toilette fehlt. Ohne Schirm sind wir auf weiter Flur machtlos einem prasselnden Gewitter preisgegeben.
 
Das wirft die Frage auf: Wie schirmen wir uns gegen psychisch belastende Drangsale ab? Das ist eine Frage des Temperaments. Der Sanguiniker hat es leichter als ich, der sich leicht aufregt, wenn etwas schief geht. Wochenlang spukte mein PC und raubte mir sogar den Schlaf. Ich verstehe nichts von IT, und meine falschen Tastendrücke folterten die Elektronik und verhunzten mir den Zugang zum E-Mail und anderen Programmen, die spurlos verschwanden, wohl irrtümlich von mir gelöscht.
 
Mit der Elektrizität komme ich besser zurecht und kann sogar eine Glühbirne auswechseln oder einen wankelmütigen Stecker beruhigen. Das habe ich von meinem Vater gelernt. „Finger weg von Dingen, die du nicht verstehst“, sage ich mir im Übrigen. Packt mich die Panik, schlage ich diesen weisen Rat leicht in den Wind. Zu dieser Panik gesellt sich Hast, von meiner angeborenen Ungeduld ausgelöst.
 
Das Sprichwort „Eile mit Weile“ stimmt. Aber diese Weile frisst viel, viel zu viel Zeit. Währenddem ich das schreibe, muss ich mich in Geduld üben, zumal mein PC im Schneckentempo einen Artikel aus dem Internet angelt und herunterspult. Dabei hätte ich beinahe den Faden zu meinem Drangsalthema verloren.
 
Das Verb „drangsalieren“, vom Hauptwort „Drangsal“ abgeleitet, bezieht sich auf Leute, die wie eine Wespe jemanden nötigen wollen. Als Trotzkopf lasse ich mich nicht nötigen, und versuche, die mich bedrängende Wespe zu verscheuchen. Manchmal gelingt das. Wenn nicht, entweiche ich dem Quälgeist.
 
„Das musst du unbedingt probieren“, wendet sich jemand im Befehlston an mich. Worum geht es? „Wenn du gesund bleiben willst, musst du jeden Tag 2 Kilometer springen“, werde ich angehalten, „ob es regnet oder nicht.“ In meinen Leben bin ich unter Termindruck viel zu viel gesprungen. Heute bevorzuge ich eine gemächliche Gangart …
 
Bin ich als Gast zu Tische geladen, will mir die Gastgeberin unbedingt den Teller nachfüllen. Ich kann ihr natürlich nicht sagen, dass ich den „Ranzen“ voll habe. Ich habe wenig Bauchspeck. „Du musst mehr essen!“ werde ich aufgefordert, „noch eine Scheibe“ (meistens 2) vom zähen Braten, wird mir auf den Teller gehäuft, mitsamt Bratkartoffeln.
 
Ja, das sind Bagatellen. Sie gehören zum Alltagsleben. Der Gast muss sich höflich benehmen. Weniger grosszügig wird der Spitzenwein nachgefüllt. Ein Ablenkungsmanöver lässt sich inszenieren. Ich beginne, eine Geschichte zu erzählen, bis meine Kehle trocken wird, und ich selbstvergessen mein Glas eigenhändig nachfülle. Diesen Trick hat mir mein Grossvater veranschaulicht. Mein Lapsus wird übersehen. Dabei schiebe ich den überfüllten Teller zur Seite. Der Käse wird herumgereicht. Er passt zum Wein. Auch dies stimmt: Man muss sich zu helfen wissen.
 
Als Einschub sei hier die Frage gestellt: Wie oft werden wir in unserem Alltagsleben abrupt gestört und unterbrochen? Besonders in England ärgern mich die unerwünschten Anrufe von „Call Centers“, die uns etwas andrehen wollen. Hinzu kommt der „Spam“, der sich trotz des Spamfilters in der Inbox der E-Mails einnistet. Zum Glück gibt es die Löschtaste. Welche Abwehrmassnahmen man auch gegen störende Telefonanrufe ergreift, gilt leider der Satz: Ein Übel aus der Welt geschafft, ist einem anderen Platz gemacht. Während der Niederschrift dieses Texts wurde ich 4 Mal unterbrochen plus 3 Mal während des Abendessens.
 
Zurück zum seelischen Ballast, der uns zugeschaufelt wird und belastet. Dazu gehören uneingelöste Versprechungen. Hoch und heilig wird mir versichert: „Ich komme.“ Der Treffpunkt, das Datum und die Zeit sind vereinbart. Ich warte und warte, und niemand kommt. Solche Lappalien vergisst man leicht. Auch ich habe Leute schon warten lassen … Schlimmer ist es, wenn der Brautzeuge ausbleibt.
 
Gegen Aggressionen, nicht physische, sondern verbale Überfälle, worunter persönliche, gezielte Beleidigungen – dagegen sind wir schlecht gefeit. Werden wir von solchen Wortgeschossen getroffen, gibt es 2 Möglichkeiten, wie wir sie parieren können: 1. Gleiches mit Gleichem vergelten, oder 2. sie negieren. Letzteres ist wirksamer und zeugt von innerer Stärke, von der Lebenserfahrung gestützt. Eine ätzende sarkastische Reaktion mag fallweise angebracht sein.
 
Wer Affektion (Einwirkung auf das Empfinden), genauer: Affinität (Neigung zu einer Annäherung), übt, der verteilt und gewinnt Gunst. Damit bleibt uns viel potenzielle Drangsal erspart. Aber solche Zuneigungen müssen echt – und nicht vorgetäuscht – sein, damit sie wirken. Dieser Rat ist Teil der Moralphilosophie. Hat die Moral heutzutage ausgedient? Das bleibe eine offene Frage.
 
Man kann sich verhalten, wie man will, doch die Lebensqualität verbessert sich, wenn man sich an der eigenen Leine führt.
 
 
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