Textatelier
BLOG vom: 23.02.2014

Der Unterschied von Auslanddeutsch und Inlanddeutsch

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Westdeutschland
Im Ausländeramt:
 
„Sie haben also Deutsch gelernt.“
„Ja, deutsche Sprache Kurs.“
„Was für ein Deutsch haben Sie gelernt?“
„Wie, was? Wie Deutsche sprechen Deutsch!“
„Sie verstehen nicht! Wo haben Sie Deutsch gelernt?“
„Ein bisschen in Türkei, viel in Deutschland.“
„In der Türkei, also!“
„Da ich habe Kursus gemacht!“
„Deutsch war für Sie Fremdsprache.“
„Deutschland fremd, deutsch Sprache fremd.“
„Dann haben Sie Deutsch als Fremdsprache gelernt.“
„Sag’ ich doch, deutsch Sprache fremd.“
„In Deutschland lernt man deutsch nicht als fremde Sprache!“
„Deutsch in Deutschland nicht fremde Sprache?“
„In Deutschland spricht man Deutsch!“
„Ich auch in Deutschland gelernt Deutsch!“
„Aber nicht Deutsch als Fremdsprache!“
„Für mich fremde Sprache!“
„Ja, schon, aber nicht in Deutschland!“
„Nicht?“
„Das nennt man anders!“
„Deutsch ist Deutschlandsprache?“
„Sie reden Unsinn!“
„Sie sagen, Deutsch in Deutschland ist nicht Fremdsprache!“
„Deutsch in Deutschland lernen heisst Deutsch als Zweitsprache!“
„Zweite Sprache? Nicht zweite Sprache!“
„Wieso nicht, ist doch so, oder nicht?“
„In Türkei ich spreche Türkisch, Kurdisch, Aramäisch!“
„Das heisst aber so!“
„Deutsch ist fremde Sprache, nicht zweite Sprache!“
„Wenn Sie Deutsch in Deutschland lernen, lernen Sie Deutsch als Zweitsprache!“
„Ich nicht verstehen!“
„Das ist anderes Deutsch!“
„Deutsch in Türkei lernen nicht deutsches Deutsch? Ist türkisches Deutsch?“
„Nein, ist auch deutsch, aber für andere Zwecke!“
„Was ist Zwecke?“
„Im Ausland sprechen Sie Deutsch nicht auf der Strasse!“
„Wenn ich deutsche Leute auf Strassen sehe, ich sprechen Deutsch!“
„Ich meine jeden Tag!“
„In Istanbul ich gesehen jeden Tag deutsche Leute auf Strassen.“
„Ja, schon, aber das Deutsch, was Sie dort lernen, ist anders!“
„Deutsche Menschen in Istanbul verstehen meine Deutsch.“
„In Deutschland benötigen Sie andere Wörter und Sätze!“
„Andere?“
„Ja andere. Sie müssen in Deutschland mit Beamten in Behörden sprechen!“
„Und Behördenbeamten sprechen anderes Deutsch?“
„Nein aber andere Vokabeln.“
„Ich viele Vokabeln gelernt in Istanbul!“
„Glaub’ ich Ihnen ja, aber ich benutze andere!“
„Darum ich Sie nicht verstehe?“
„Darum verstehen Sie mich nicht!“
„Ist besser Türkisch sprechen mit Ausländeramt?“
„Das verstehen wir nicht! In Deutschland sprechen wir Deutsch!“
„Nicht Deutsch im Ausland gelernt, Deutsch in Behörde?“
„Jetzt haben Sie es verstanden, Deutsch als Zweitsprache!“
„Zweite Sprache Kurdisch!“
„Nein, Zweitsprache Deutsch!“
*
Was im Ausland „Deutsch als Fremdsprache (DaF)“ genannt wird, heisst in Deutschland „Deutsch als Zweitsprache (DaZ)“.
 
Deutsch als Fremdsprache wird oft im Ausland nur im Deutschkurs gesprochen.
 
Der Kontakt mit der deutschen Sprache erfolgt über die Kursleitung, die Sprachfehler direkt korrigieren kann. Die Lerngruppe ist in der Regel homogen. Der Spracherwerb erfolgt ungestört.
 
Deutsch als Zweitsprache wird auch ausserhalb eines möglichen Deutschkurses ungesteuert und oft defizitär erworben. Spracherwerb bei DaZ dient der Integration in die deutsche Gesellschaft, der ungesteuerte Erwerb der Sprache im Inland führt häufig zu fehlerhaften Sprachmustern, die schwer zu korrigieren sind.
 
Der Begriff DaZ ist irreführend. Oft sprechen die Migranten nicht nur ihre Muttersprache, sondern in der Heimat haben sie schon als Kind eine oder mehrere Sprachen, die sie parallel gelernt haben.
 
Die Abgrenzung zwischen DaF und DaZ fällt nicht immer leicht, nicht selten finden wir die Kombination von gesteuertem Lernen in der Schule und ungesteuertem in der Freizeit.
 
Die einschlägigen Verlage haben 2 Arten von Lehrwerken mit unterschiedlichen Inhalten des Spracherwerbs entwickelt und veröffentlicht. Sie richten sich nach dem Rahmencurriculum für Integrationskurse (DaZ) und nach dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen (DaF und DaZ).
 
Bei DaZ sind Ziele von Lerninhalten für Deutschland vorgegeben, die z. B. so lauten:
„Kann sich mit einfachen Mitteln über das Kind erkundigen, z.B. über Mitarbeit, Leistungsstand“,
oder:
 „Kann in Besprechungen mit Lehrkräften oder Nachhilfelehrern einfache Absprachen treffen, z. B. über Inhalte und Dauer von Nachhilfestunden.“
 
Die Richtlinien sprechen u. a. länderübergreifende Aspekte an, z. B. sollen die Lernenden „für kulturell unterschiedliche Kommunikationsgepflogenheiten“ sensibilisiert werden. Das beinhaltet auch, dass die Lehrkräfte interkulturelle Kompetenz“ erwerben sollen.
 
Das hört sich sehr gut an. Aber wie kann das funktionieren? Auch wenn die Lehrperson weiss, dass die Stellung der Frau in islamischen Ländern oft einen untergeordneten Status hat, was bringt ihr das? Ändert es in der Lebensauffassung und in seinen Verhaltensweisen des muslimischen Mannes gegenüber seiner Frau und seiner Familie etwas, wenn er im DaZ-Unterricht etwas über Gleichberechtigung in der Ehe liest, wie sie angeblich in Deutschland umgesetzt wird?
 
Der muslimische Mann liest in seinem Lehrbuch:
„Über Ehe und Partnerschaft und Aufgabenteilung im Haushalt sprechen:
Es ist wichtig, dass sich die Männer genauso viel um den Haushalt und die Erziehung der Kinder kümmern wie die Frauen. Die Aufgaben müssen gerecht verteilt sein“ (S.38).
 
DER SPIEGEL nennt das „ein kulturelles Missverständnis“, wenn der Mann auf patriarchalische Privilegien aus seiner früheren Heimat beharrt. Für den Haushalt und die Kinderbetreuung ist seiner Überzeugung nach die Frau zuständig. Wie steht er denn bei seiner Verwandtschaft und in bei seinen Landsleuten da, wenn er, weil es etwa das Sozialgericht angeordnet hat, als Arbeitsloser seine Frau vertritt, putzt und kocht und sie das Geld nach Hause bringt?
 
Ein Ausländer, der im Heimatland Deutsch lernt, muss nichts drüber wissen, wie er sich im deutschen Kindergarten oder Behörden behaupten kann. Und in Deutschland? In vielen deutschen Köpfen hat sich diese Illusion festgesetzt: Wenn die Zuwanderer in Deutschland Deutsch lernen, legen sie ihre kulturell im Herkunftsland festgelegten und anerzogenen Verhaltensweisen und Überzeugungen auch ab und passen sich den deutschen Gepflogenheiten an. Wenn sie schon in Deutschland für längere Zeit wohnen, sollen sie auch sich so verhalten und denken wie die Deutschen.
 
Und dann herrscht pures Erstaunen darüber, dass Frauen häufig nach Jahrzehnten in Deutschland immer noch kein oder nur gebrochenes Deutsch sprechen, die meiste Zeit zu Hause sind und der Bekanntenkreis der Familie in den überwiegenden Fällen aus Landsleuten besteht.
 
Nach Umfrage des Berliner Info-Instituts, so berichtet DER SPIEGEL, sehnen sich beispielsweise 45 % der türkischstämmigen Mitbürger in Deutschland nach ihrem Heimatland, in das sie gern irgendwann wieder zurückkehren möchten.
 
Und so existieren Parallelgesellschaften in jedem Land, in dem grössere Gruppen von Ausländern wohnen. Daran ändert auch der Unterricht von DaZ nichts. Auch nicht in den Köpfen der Ureinwohner. Denn Ausländer bleibt Ausländer, egal wie gut die deutsche Sprache erlernt wird und wie lange und in welcher Generation er/sie in Deutschland wohnt, ob eingebürgert oder nicht, ob mit deutschem Pass oder nicht!
 
Quellen
Schrep, Bruno: „INTEGRATION - Frau K. lernt kein Deutsch – Weil die Türkin Imhan K. einem Sprachkurs fernblieb, kürzte ihr das Jobcenter die Hartz-IV-Bezüge. Der Ehemann hatte ihr die Teilnahme verboten“, in: DER SPIEGEL Heft 39/2013, S. 50ff.
Schote, Joachim: „Deutsch als Zweitsprache“, Pluspunkt Deutsch, Cornelsen Schulverlage, Berlin, 2013, Inhaltsverzeichnis S.3f., S.35ff., u.a.
 
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