Textatelier
BLOG vom: 16.04.2014

„Was eine im Ranze inne hät, au no i d’Schnörre ine bringe“

Autor: Pirmin Meier, Historiker und Schriftsteller, Rickenbach LU. Für ihn war Rolf Brem ein repräsentativer Künstler des Bürgertums in der Deutschschweiz.
 
 
Pilger mit Schritten ins Unendliche und beschwingte Aktfiguren standen bei diesem Könner in einem gewissen Gegensatz zum Kult von Prominenz und Tradition, zum Beispiel repräsentiert vom Helyas-Helye-Denkmal in Beromünster LU. Breitbeinig macht die Statue des frühen Buchproduzenten und Chorherrn vor dem Michelsämter Schloss auf sein Produkt aufmerksam: den ersten datierten Schweizerdruck von 1470. Eleganter ist dem Meister des kostümierten Denkmals Stadtschreiber Renward Cysat gelungen. Sagenmotive und Tierplastiken, mit Vorliebe die Verbindung von Mensch und Tier, trugen mit zur hohen Beliebtheit des seit rund 50 Jahren in Meggen LU arbeitenden Künstlers bei. Was er vollendete, war in seinen besten Werken im Wortsinne „bildend“.
 
Am 11. April 2014 starb der am 12. Februar 1926 in Luzern geborene Bildhauer Rolf Brem im Patriarchenalter von 88 Jahren. Die symbolträchtige Zahl steht gleichsam für vier Kreise einer Künstlerexistenz, die sich nunmehr geschlossen haben: Mensch, Natur, Zivilisation, Spiritualität im Rhythmus von Beständigkeit und Aufbruch.
 
Bei einem jeden Menschen machen die inneren Planeten eine volle Drehung durch, sterbe er als ein Kind von 3 Tagen oder eben als Greis von 88 und mehr Jahren. So lehrte es der Innerschweizer Arzt-Philosoph Paracelsus (1493–1541). Es handelte sich um einen Versuch, die Ungerechtigkeit unterschiedlicher Lebenserwartungen optimistisch zu deuten. Rolf Brem war unter den Gestaltungskünstlern unserer Region eine Saftwurzel, ein Handwerker später Bürgerlichkeit. Wie Kunsthaus-Olympier Hans Erni hatte er vor Jahrzehnten kaum in seinem heutigen Kundenkreis, eher schon in proletarisch anmutenden Werkstätten einiges gelernt.
 
Der sich allmählich einstellende dauerhafte Erfolg und die hartnäckige stabilitas loci (Ortstreue) in Luzern und Meggen prädestinierten Brem zum Künstler des soliden Mittelstandes. Als sein berühmtester Modellsitzer noch nicht zu Nobelpreisehren entrückt war, gehörte sogar Günter Grass dazu. Die 4 aussergewöhnlich bekannt gebliebenen Kopfbüsten von Grass, Hans Erni, Hans Küng und Hugo Loetscher, also einem Deutschen und drei Luzernern, sind heute an prominenter Stelle in Davos aufgestellt.
 
Damit ist klar unterstrichen, dass Brem mehr sein wollte und auch mehr war als eine Lokalgrösse, dessen Werke in Luzern und Meggen auf Schritt und Tritt begegnen. Der „Hirt mit Schafen“ vor dem Stadttheater zeigt, trotz einigen Stadtbauern, was die Stadt – immer ein pointierter Gegensatz zum Land – eigentlich nie war, wiewohl ein paar idyllische Wiesen und da und dort ein bukolisches, sozusagen grünliberales Schaf am Stadtrand noch anzutreffen ist, etwa unweit der Wesemlin-Waldkapelle und im gegen den Willen Alteingesessener eingemeindeten ehemals ländlichen Littau. Da passt Brems Pöstler mit dem Velo, fast eine Anspielung auf Emil Steinberger oder den Arbeiterliteraten Urs Liechti, schon besser in die städtische Landschaft.
 
Auf dem Bildungsweg Rolf Brems, in dem nach jahrhundertealter Luzerner Tradition Italien prägend wurde, spielte der Zürcher Helvetia-Platz-Künstler Karl Geiser (1898–1957), Repräsentant des schweizerischen sozialen Realismus und Ahnherr der Zürcher Bisexuellenszene, vor allem einer der am besten fotografierenden Bildhauer, eine wegleitende Rolle. Der einstige Liebhaber von Puppenmutter Sasha Morgentaler, ein ausgezeichneter Handwerker im Akt-Bereich, bewies per Kodak, dass die Bezeichnung „schönes Geschlecht“ durchaus männerkompatibel ist. Dies galt für sportlich bekleidete Modelle in besonders hohem Ausmass.
 
Bei Geiser am Spielweg 7 in Zürich-Letten machte Brem in den Fünfzigerjahren erweckende Lehrjahre. Als Atelier-Mitarbeiter fand er hier ein genügsames frühes Brot. Vor allem realisierte er bei Geiser für den Rest seines Lebens die Einheit von Kunst und Handwerk. Für den Sozialisten Geiser war der 1. Mai einer der wichtigsten Feiertage des Jahres.
 
Nach seiner Rückkehr und Heimkehr nach Luzern, später Meggen, ernährte Brem sich und seine Frau Françoise mit Familie lieber aus dem Heiligenkalender, vom heiligen Fridolin (6. März) bis Bruder Klaus (25. September) und dessen zumal in Obwalden vielverehrter Gattin Dorothea. Brems Sachsler Denkmal der Heiligengattin mit Kindern aus dem Jahre 1991 hat eine erstaunlich Ähnlichkeit mit dem von Linus Birchler 1941 in Auftrag gegebenen Einsiedler Paracelsus-Denkmal, das der ehemalige Ministrant Heinrich Federers, Alfons Magg, im pathetischen Stil der geistigen Landesverteidigung gestaltete. Im Vergleich zu Hans Erni, der abermals einen Kollegen überlebt hat, neigte Brem weder zu esoterischen Kompositionen noch zu künstlerischem Philosophieren. Vielmehr repräsentierte er das Handfeste schlechthin. Eleganz war weder vorgeschrieben noch verboten, wurde aber beim Pilgermotiv immer wieder vorzüglich erreicht. Auch beim Schlangentöter, seinem wohl gelungensten männlichen Akt.
 
Das Metier, für das Brem über alles andere hinaus lebte und von dem er lebte, war der „Grind“. Porträts sind ihm gelungen, einige meisterhaft, Hans Küng vielleicht weniger, man erkennt den Theologen kaum wieder. Da boten Loetscher, Erni und zumal Grass eine Spur mehr Charakter. Zu den frühen Freunden von Rolf Brem, die er dann und wann vor 60 Jahren im Café Odeon getroffen hat, gehört der Aargauer Eduard Spörri (1901–1995), ein Meister der Raumgestaltung durch das Denkmal nach den Regeln Hildebrands, zugleich einer der letzten mit einer Künstlerbiographie in der Art von Gottfried Keller, also Münchner Schule. Brems Ausbildung war vergleichsweise akademischer. Er war auch zu jung, um sich im München der Zwanzigerjahre noch nach Lembruck schulen zu lassen und Zeuge des Hitlerputschs (1923) zu werden. Spörri war wie Brem ein exzellenter Porträtkünstler alter Schule, so wie es gutbürgerliche Auftraggeber schätzen. Es ist mühsam, bei einem Porträt - Spörri schrieb einmal „Borträ“ ‒ noch extra anschreiben zu müssen, wie das Modell heisst. Dafür gäbe man das Geld, einschliesslich der Kosten für den Guss in Mendrisio TI, ungern aus. Brem hatte dort in der Nähe sogar ein Zweitatelier.
 
Ein hervorragendes Porträt muss kein blosser Abklatsch sein, weder eine Art Lebendmaske noch eine Totenmaske, letztere abzunehmen war und ist den meisten Bildhauern verhasst. Für einen starken künstlerischen Ausdruck eines Porträts gilt die Regel von Spörri, wie ich sie in meiner Biographie zu dessen 100. Geburtstag (2001) als Zitat des Meisters darlegte: „Wänn es Borträ mach wottsch, muesch das, wo eine im Ranze inne hät, au no i d’Schnörre ine bringe.“ Eine merkbare Regel mit wohltuendem Verzicht auf Fremdwörter.
 
Dass Brem Kunst schuf, die das Volk verstand, weil er sie selber verstand und ein begabter Handwerker war, spricht weder gegen die Nachhaltigkeit noch die mutmasslich hohe Wertbeständigkeit seines Schaffens.
 
Meine schönste Begegnung mit Brem erfolgte vor 14 Jahren in Luzerns Zentralbibliothek, zusammen mit dem schreibenden Arbeiter und Charakterkopf Karl Kloter (1911–2002). Für eine Büste des proletarischen Dickschädels mit Knollennase reichte die zur Verfügung stehende Lebenszeit des ehemaligen Bäckers nicht mehr. Er hätte auch nicht zu den Kreisen gezählt, die zu porträtieren bei Rolf Brem Standard war. Die schönsten Unterhaltungen unter 3 Männern bleiben aber die, bei denen es um nichts geht.
 
Rolf Brem hat Spuren hinterlassen in einem Ausmass, das Autoren in der Regel versagt bleibt. Er soll nach Mitteilungen seiner Familie sogar als Geschichtenerzähler ein zusätzliches Vermächtnis hinterlassen haben. Das letzte Wort zu seiner Biographie scheint noch nicht gesprochen zu sein.
 
 
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