Textatelier
BLOG vom: 25.04.2014

PTT-Konzernchef Felix Rosenberg: kulturpolitisch engagiert

Autor: Pirmin Meier, Historiker und Schriftsteller, Rickenbach/Beromünster LU: Er schreibt über die Bilderbuchkarriere des früheren PTT- und Swisscom-Präsidenten Felix Rosenberg (1941–2014), Sohn des „Schöpfers“ der Zauberformel Martin Rosenberg und Christdemokrat.
 
Felix Rosenberg, geboren am 9. Juni 1941 in Bern, verstorben am 21. April 2014 in Frauenfeld, war ein für seine Generation repräsentativer Schweizer Politiker sowie ein engagierter Kulturförderer. Am bekanntesten wurde er als Konzernchef sowohl der Schweizer Post, später auch der Swisscom. Sein Name bleibt überdies nachhaltig mit der neuen Funktion der einstigen Kartause Ittingen als Kulturzentrum des Kantons Thurgau verbunden. 2002 wurde dem nachmaligen Ehrenpräsidenten der Stiftung dafür der thurgauische Kulturpreis verliehen.
 
Es gibt wenige bekannte Schweizer, deren Karriere als Sohn eines einflussreichen Schweizer Politikers gleichsam schon in der Wiege konstituiert wurde und die dann doch nicht so verlief, wie es sich einer im optimalen Fall vielleicht vorgestellt hätte. Statt Bundesrat und Bundespräsident wurde der Sohn des mächtigsten Generalsekretärs einer Schweizer Partei Vorsitzender des seit Gründung des Bundesstaates bestehenden Bundesunternehmens PTT in einer der bedeutendsten Phasen von deren Geschichte, nämlich, als es um die Aufteilung und Lostrennung von Post einerseits und dem einstigen Monopolbetrieb im Telefonbereich in Swisscom andererseits ging. Die grösste Veränderung in der Geschichte des Gelben Riesen.
 
Es war dies eine allerdings unvermeidliche Entwicklung. Zu deren Konsequenz gehört, dass im Gegensatz zu früher in Schweizer Postbüros keine Telefonbücher mehr zur Verfügung stehen, aus denen man als Kunde Telefonnummern und Adressen herausschreiben könnte. In der Epoche vor dem Internet war dies für einen Kunden alter Schule noch eine der kundenfreundlichsten Dienstleistungen der damaligen PTT. Heute ist es indes nicht einmal mehr möglich, bei einer geschlossenen Poststelle oder einem Briefkasten eines grossen Bahnhofs wenigstens noch eine Briefmarke aus dem Automat rauszulassen. Nachträglich bleibt aber zu sagen, dass die digitale Revolution der letzten 20 Jahre der Post wohl keine grosse Wahl gelassen hat.
 
Für den nichtsdestotrotz von vielen Kundinnen und Kunden bedauerten Rückgang individueller Dienstleistungen konnte Felix Rosenberg als konkret keineswegs sehr mächtiger Vorsitzender so wenig die Verantwortung übernehmen wie für den Telefonsex zu der Zeit noch vor der Liquidierung von Monopolstellungen der PTT und der späteren Swisscom. Führungsaufgaben auf dem Sektor dieser öffentlichen Dienstleistungen waren selten so zu verstehen, als ob damit ein realer Einfluss auf das, was den Kunden konkret betrifft, verbunden wäre. In Politik und Verwaltung passiert in der Regel, was ohnehin geschieht. Mutmasslich wäre die Entwicklung der Sachzwänge von Post und Telefon in der Schweiz auch ohne die entsprechende diesbezügliche Karriere Rosenbergs gleich verlaufen: eine Diagnose, die der Analytiker Peter Bodenmann auch für die Bundesratslaufbahn des ausgezeichneten Redners Moritz Leuenberger gestellt hat.
 
Trotzdem hat Felix Rosenberg, ein fein gebildeter Kulturkatholik, nicht umsonst gelebt. Als thurgauischer Regierungsrat und späterer Stiftungsvorsitzender wusste er genügend Einfluss wahrzunehmen, um Pflöcke für eine bleibende Institution einzuschlagen, so die genannte ehemalige Kartause Ittingen als eines der bedeutendsten Kulturzentren der Ostschweiz. Dass es dazu kam, war weniger selbstverständlich als jene Entwicklungen bei Post und Telefon, die unabhängig von der Person eines Vorsitzenden jeweils so stattfinden, wie sie geschehen. Mit obigem Vergleich soll nicht die Lebensleistung eines schätzenswerten Verstorbenen relativiert, vielmehr auf die Möglichkeiten nachhaltigen Wirkens in Politik und Kultur verwiesen werden. Es sind oft nicht die nach aussen sichtbaren beruflichen Funktionen, eher schon beherzte Taten am Rand des noch gesetzlich Möglichen, welche das schätzenswerte Vermächtnis eines politischen Menschen ausmachen. Das Ziel einer politischen Existenz ist dann erreicht, wenn irgendwo noch ein Unterschied – das war’s! – ausgemacht werden kann.
 
Ebenso hoch einzuschätzen ist im Zusammenhang einer sinnvollen Existenz bei Felix Rosenberg auch das Familienleben mit Gattin Monika sowie gemäss Todesanzeige den Töchtern Monica und Mechthild sowie Sohn Hadrian. Felix Rosenberg war ein Mensch, dessen Horizont sich weder in der Politik noch in der Tätigkeit für Konzerne erschöpfte. Beispielsweise war er in der christlichen Literatur des 20. Jahrhunderts bewandert. Dass man sich mit ihm, etwa an Delegiertenversammlungen der Schweizer Christdemokraten, darüber unterhalten konnte und nicht etwa nur über die von Bundesrat Kurt Furgler verteidigte Exportrisikogarantie für die Schweizer Industrie, machte bei Felix Rosenberg mit den Unterschied zu einem Durchschnittspolitiker aus.
 
Als Felix Rosenberg am 9. Juni 1941 in Bern auf die Welt kam, gelangte im Südosten Europas der Balkankrieg in eine gefährliche Phase und war für die Schweiz die Lage immer noch so brenzlig, dass eine andere als eine in vielem vorsichtige, um nicht zu sagen anpasserische Politik realistischerweise kaum in Frage kam.
 
Zu diesem Zeitpunkt war Rosenbergs Vater Martin der ausserhalb des Bundesrates wohl wichtigste christdemokratische Politiker. Er berichtete einerseits im „Vaterland“, dem Offiziellen Organ der Partei, über Innenpolitik, wurde andererseits für Jahrzehnte der bis heute strategisch bedeutendste Generalsekretär dieser Partei. Dass Vater Rosenberg kein Anpasser war, hatte er schon als Zentralpräsident des katholischen Schweizerischen Studentenvereins mit der postulierten Unvereinbarkeit der Mitgliedschaft zu den damaligen Fronten unterstrichen.
 
Für Jahrzehnte bestimmte der Aargauer Rosenberg, ein gebürtiger Freiämter, die Politik der Christdemokraten, am stärksten 1959 mit der Konstituierung der Zauberformel, welche die Sozialdemokraten endlich dauerhaft in die Regierungsverantwortung einband, dabei aber den Christdemokraten und der sogenannten Mitte bis heute ihre Scharnierstellung im eidgenössischen System des permanenten Regierungskompromisses gewährleistete. Auf diese Weise erlangte die Partei eine Machtposition, für deren Erhalt ihre jeweiligen Wahlresultate nur von nebensächlicher Bedeutung waren. Wie kein zweiter Politiker der demokratischen Schweiz war Martin Rosenberg (1909–1976) ein Ingenieur der Macht auf der Grundlage intimster Kenntnis des schweizerischen Systems. Mittepolitik hatte bei Vater Rosenberg noch etwas mit „Ihr sollt einander gehorsam sein“ zu tun, einer Losung des Landesheiligen Bruder Klaus, nach dem in Bern eine katholische Pfarrei benannt wurde. Auch Frauenfeld, der Sterbeort von Felix Rosenberg, verfügt über ein eindrucksvolles Bruder-Klaus-Heiligtum.
 
Wirkte Vater Rosenberg sozusagen als graue Eminenz stärker hinter den Kulissen, waren für den Sohn die Voraussetzungen für eine noch weitergehende politische Karriere schlicht optimal. Nach dem Studium an der katholischen Universität Freiburg im Üechtland, wo Felix Rosenberg als Verbindungsstudent das Vulgo „Konzil“ annahm, gemäss dem Aufbruch unter Papst Johannes XXIII., betätigte er sich zunächst als Gerichtsschreiber in Baden, wo damals das inzwischen untergegangene katholische „Aargauer Volksblatt“ in Blüte stand und Politiker wie Julius Binder (National- und Ständerat), Beat Brühlmeier (Oberrichter), Carl Hans Brunschwiler (Bundesrichter) und Leo Weber (Regierungsrat und Nationalrat) auf intellektuell beachtlichem Niveau den Ton angaben. Auf Empfehlung von Leo Weber stellte der Thurgauer CVP-Regierungsrat Franz Josef Harder Felix Rosenberg als Departementssekretär im Finanzdepartement ein.
 
Schliesslich wurde der 33jährige Rosenberg schon 1974, als bis anhin jüngster Regierungsrat, vom Volk in die Thurgauer Regierung gewählt. Dass die weitere Karriere dann nicht in den Bundesrat führte, sondern an die Spitze der PTT, hing mit der dominierenden Stellung anderer Ostschweizer Christdemokraten zusammen, nämlich Kurt Furgler und nach ihm Arnold Koller, der „Vater“ der Bundesverfassung von 1999. Ausserdem war ab der Jahrtausendwende bei den Christdemokraten auf höchster Regierungsebene der Frauenbonus (Ruth Metzler, Doris Leuthard) angesagt. Die Epoche der Kulturkatholiken und Prinzipienpolitiker, die Felix Rosenberg als einer der letzten eher gesinnungsmässig als praktisch repräsentierte, ging mit seiner Generation zu Ende.
 
Insofern war und bleibt es sinnvoll, dass man Felix Rosenberg über die eindrucksvollen Leistungen einer angedeuteten Bilderbuchkarriere hinaus als Kulturpolitiker in Erinnerung behält, überhaupt als einen der kultiviertesten Schweizer seiner Generation.
 
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