Textatelier
BLOG vom: 07.07.2014

Klaus Streif (1940–2014) – ein Leben für den Journalismus

Autor: Pirmin Meier, Historischer Schriftsteller, Beromünster LU
 
Klaus Streif, geboren am 4. Februar 1940, verstorben am 25. Juni 2014, war ein vielseitiger und ideenreicher Schweizer Journalist, der lebenslang und auf fast jeder Ebene der Publizistik seiner Heimatstadt Baden im Limmattal verbunden blieb: als Redaktor des „Aargauer Volksblattes“, des „Badener Tagblatts“ (später „Aargauer Zeitung“), als Pionier des Lokalfernsehens „TV Rüsler“ (später „Tele M1“) sowie auch als Redaktor zahlreicher städtischer Publikationen vom „Stadtturner“ bis zu Organen der Badener City-Vereinigung. Auch für eine Stiftung für Behinderte wie für den Badener Stadtlauf rührte er beherzt und viele Jahre lang die PR-Kelle. Was er tat, erfolgte stets aus einem gesellschaftlichen und sozialen Engagement heraus. Auf welche Weise der regionale und lokale Journalismus durchaus hohe Schule der Branche werden kann, hat Klaus Streif als Redaktor im Aargau wie wenige vorgelebt. Beim Aargauer Volksblatt war er Nachfolger des ebenfalls dieses Jahr verstorbenen nachmaligen Luzerner Publizisten Martin Merki. Auch Otmar Hersche, am 1. Juli dieses Jahres 80 Jahre alt geworden, später Chefredaktor des „Vaterlands“ und der „Tagesschau“, hat seine Sporen im 1992 eingegangenen „Aargauer Volksblatt“ abverdient.
 
Der Mensch ist kein Einzelwesen, das für sich allein lebt, sondern ein Gesellschaftswesen. Der Mensch lebt in der Familie und vor allem in der Polis, der Stadt. Diese Auffassung von Aristoteles vom Menschen als zoon politikon wurde und wird in der Stadt Baden schon immer sehr gross geschrieben. Von Klaus Streif, dem leidenschaftlichen Mitbürger, Medienmann und politischen Menschen gilt das ganz besonders. Gerade auch darum nahm am 5. Juli 2014 eine eindrucksvolle Trauergemeinde, darunter zahlreiche Publizisten wie auch Vertreter von Politik und Kultur, vom Verstorbenen Abschied.
 
Am 4. Februar des Kriegsjahres 1940 in eine stattliche katholische Badener Familie hineingeboren (zwei Schwestern und zwei Brüder), trug der Sohn des BBC-Arbeiters Louis Streif und der Mutter Anna den Namen Klaus, in der Familie „Chlois“ genannt: der Landesheilige, dessen Gestalt in der kritischen Situation der Mobilmachung vom Mai 1940 im Aargau viele Menschen am Himmel und in den Wolken gesehen haben wollen. Dass Klaus als jüngstes Kind seiner Familie dennoch als Erster wieder von dieser Welt gehen musste, ist kein Zufall. Journalisten werden, wie Piloten, oft nicht alt. Unter den bestgeschätzten Kollegen von Klaus Streif im Raum Baden ist der geniale Erich Radecke mit 40 Jahren verstorben, der dynamische Reporter Dieter Mittler mit 50 und NZZ-Inlandchef Matthias Saxer mit 60. Der hochbegabte Saxer, wie Klaus aus katholischer Familie, hat das journalistische Handwerk als sein Volontär im Aargauer Volksblatt gelernt, wurde dann von Christian Müller zum Badener Tagblatt abgeworben, um sich dann bei der NZZ gleichsam totzuarbeiten.
 
Eher noch seltener als ein 80. (wie Otmar Hersche) oder 90. Geburtstag ist im Journalismus eine goldene Hochzeit. Zu meiner Zeit als Redaktor in Baden gab es wenige Kollegen, bei denen das Familien- und Eheleben nicht unter der beruflichen Anspannung gelitten hätte. Dabei bleibt mir aber Trudi Streif, seit 1969 mit Klaus verheiratet, aus dieser Zeit in starker Erinnerung. Wie sie zum Beispiel als Nachfolgerin ihres Mannes im CVP-Parteisekretariat die Zurzacher Tagungen mitorganisierte, etwas vom Besten, was es in den guten Zeiten der CVP gab, bleibt mir ähnlich unvergessen wie die Erfahrungen mit Klaus im Lokal- und Regionaljournalismus. Bei ihm habe ich gelernt, dass der lokale und regionale Journalismus sehr hohe, vielleicht sogar die höchsten Ansprüche stellt.
 
Alles, was auf dieser Welt passiert, geschieht vor Ort, das heisst lokal. Der gute Lokalberichterstatter hat ein Hintergrundwissen, das kein zugereister internationaler Reporter erreicht, etwa auf dem Platz des Flugzeugabsturzes von Würenlingen (1970). Schreibst du als Lokaljournalist etwas, das nicht stimmt, kommt es in der Regel erbarmungslos an den Tag.
 
Es ist auch derjenige Bereich einer Zeitung, wo die Leserbindung am stärksten greift. Diese Grundsätze praktizierte Klaus Streif auch später beim Badener Tagblatt bzw. bei der Aargauer Zeitung, heute AZ-Mediengruppe.
 
Klaus Streif war ein berufener Journalist, was nicht heisst, dass er dies von Anfang an und ausschliesslich gewesen wäre. Die Visionen des jungen wie auch des erwachsenen Klaus Streif galten weniger seinem mystischen Namensheiligen Bruder Klaus als der Aviatik, die ihn zeitlebens fasziniert hat. Er sass gelegentlich im Cockpit eines Fliegers, hat nicht wenige Flugstunden absolviert. Während fünf Jahren arbeitete der gelernte BBC-Konstrukteur, Leutnant und später Hauptmann der Fliegertruppen beim Zürcher Amt für Luftverkehr auf dem Flughafen Kloten. Auf Dauer betrieb er aber die Fliegerei nicht praktisch, sondern publizistisch: als Aviatik-Spezialist.
 
So auch 2001/2002 mit Beiträgen in der Aargauer Zeitung zum Swissair-Debakel. Hier war Klaus Streif als Journalist und Publizist total in seinem Element. Noch nach seiner Emeritierung als Journalist meldete er sich zu diesem Thema zu Wort. Das für ihn wohl denkwürdigste Kunstwerk in der Region Baden war für ihn „Der Flieger“ des Badener Künstlers Hans Trudel aus der Tradition des Expressionismus. Über dieses Motiv schrieb er eines seiner wenigen der Kunst gewidmeten Feuilletons. Technische und wirtschaftliche Themen lagen dem Publizisten Streif sonst im Prinzip näher. Und natürlich war er ein politischer Mensch. Dies schon in seinem frühen Engagement für das Kornhaus als Jugendhaus und bei der CVP der 1970er-Jahre, die 1973 im Kanton Aargau ihr Allzeithoch erreichte. Wenn in diesem Zusammenhang Klaus Streif im Rückblick mit dem Stempel „katholisch-konservativ“ versehen wird, hat man von seinem familiären Hintergrund wie auch von seiner publizistischen und politischen Haltung kaum eine Ahnung.
 
Von der Herkunft her war Klaus als Sohn eines Werktätigen der BBC ein Christlichsozialer und als Katholik so ziemlich das Gegenteil der Linie des damaligen Pfarrers Alfred Sohm. Auch seine Redaktionskollegen vom Aargauer Volksblatt nach der Zeit von August Bärlocher und Albert Hitz: Niklaus Oberholzer, Eugen Kaufmann, Franz Hophan, Ursula Hürzeler, Hansueli Fischer, Franz Lenz, Martin Ramisberger, Ruedi Baumann wie auch der genannte Matthias Saxer lassen sich in keiner Weise auf „katholisch-konservativ“ reduzieren. Gemeinsam hatten sie mit Klaus Streif, dass ihnen allerdings das Regionale, wozu die damalige Politik und Kultur gehörten, viel bedeutete und sie lebendig darüber zu berichten verstanden. Man darf wohl sagen, dass jeder der genannten Publizisten zu einem aussergewöhnlichen Profil fand. Ich zitiere den heutigen Tagi-Regionalchef Ruedi Baumann:
 
„Klaus Streif war für mich der erste Lehrmeister. Ich erinnere mich vor allem noch daran, wie er beim Aargauer Volksblatt in höllischem Tempo in einem prähistorischen ,Vierfingersystem’ auf seiner Hermes Baby schrieb. Vor allem habe ich an ihm bewundert, wie er sich in Baden auskannte, es mit jedem und jeder konnte. Ein richtiger Lokaljournalist, total engagiert, in Baden aufgewachsen und bestens vernetzt. Klaus war aber auch ein sehr guter Journalist, der sein Handwerk verstand, sorgfältig und mit weniger Fehlern und uns auch anraunzen konnte, wenn wir schluderten. Er schrieb originell und lüpfig und wenig formalistisch – also kein Amtsdeutsch. Er war dem damaligen Stil weit voraus.“
 
Einen bewegenden Rückblick formulierte auf Anfrage Jürgen Sahli, heute Chefredaktor von Radio Argovia:
 
„Ich habe als Nachfolger von Klaus Streif im Aargauer Volksblatt die Lokalberichterstattung Baden/Wettingen übernommen. Als Neuling in der Branche war der Name Streif für mich eine schier unüberwindbare Hürde. Klaus Streif zu ersetzen war schlicht unmöglich.
 
In guter Erinnerung bleibt die Zeit, da Klaus Bewegung ins Regionalfernsehen Rüsler brachte. Das war sein Kind. Dieses Projekt hatte ihn begeistert.
 
Bei den letzten zwei Badenfahrten hatte sich Klaus auch als Radio-Moderator im Gefäss Welt statt Radio betätigt. Er konnte so wunderbare Geschichten erzählen. Dabei leuchteten seine Augen und sein Lachen war noch herzlicher.“
 
Unter den von mir hier genannten Publizisten war Klaus Streif wohl am wenigsten zu einer Karriere ausserhalb Badens disponiert. Und zwar nicht deshalb, weil es ihm dazu nicht hätte reichen können, sondern weil er familiär, beruflich und gesellschaftlich von all den Genannten der Stadt Baden am stärksten verbunden blieb.
 
Beeindruckend bleiben Klaus Streifs lebenslange Engagements für Behinderte, seine wache Zeitgenossenschaft noch spät als Leserbriefschreiber und seine gelebten Vernetzungen, die fast immer seiner lieben Heimatstadt Baden galten. Im Jahre 2014 sind drei mir bekannte Ur-Badener verschieden: Cordula-Zunft-Pionier und Deutschlehrer Robert Kappeler; Kreuzliberg-Wirtin (ihr Migrationshintergrund änderte nichts an ihrer heimatbildenden Mütterlichkeit) Franca Donelli und Badens Heimat-Publizist Klaus Streif. Zum Tode der Wirtin im Januar 2014 hat sich Klaus Streif noch geäussert:
 
„Ich bin Stammgast im ,Chrüzliberg’. Ich musste bei Franca deshalb auch nie bestellen, wenn ich das Restaurant betrat. Unter der Woche gab es immer Menu 3, am Sonntag Menu 4 - und immer ein Bier voraus. Franca war eine sensationelle Gastgeberin; ich werde sie vermissen.“
 
Aus volkskundlicher Sicht bleibt die Publizistik von Klaus Streif über die Arbeit für Zeitungen hinaus interessant, weil er auch für die traditionsreichen „Badener Neujahrsblätter“ schrieb, desgleichen für den derzeit wichtigsten Badener Buchverlag „hier+jetzt“ mehrfach wertvolle Beiträge für Sammelbände. Unvergesslich bleibt nach dem Zeugnis seines Bruders Otto der junge Klaus Streif als Badens letzter „Chrüzlibueb“. In den fünfziger Jahren trug „Chlois“ beim damals noch praktizierten traditionellen Leichengeleite das Kreuz mit dem Namen des Verstorbenen voraus. Ein eindrucksvolles Stück Badener Traditionsgeschichte, das es verdient, niemals ganz in Vergessenheit zu geraten.
 
Mehr als jeder Denkmalschutz trugen Menschen wie Klaus Streif dazu bei, aus einer Kleinstadt wie Baden ein Stück Heimat zu machen. Im Gedenken an Klaus Streif möchte ich wünschen, dass dies auch in Zukunft so bleibt.
 
 
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