Textatelier
BLOG vom: 06.08.2014

Heinz Dopsch: Geschichtsschreibung mit Tiefendimension

Autor: Pirmin Meier, Historischer Schriftsteller, Beromünster LU/CH
 
Heinz Dopsch, Prof. Dr. phil., emeritierter Universitätsprofessor an der Universität Salzburg, war ein österreichischer Historiker von europäischem Rang. Dass grosse und kompetente Geschichtsschreibung sich aus der Tiefendimension eines für die europäische Geschichte relevanten Raums erschliesst, praktizierte er am Beispiel Salzburgs und des Ostalpenraums 45 Jahre lang auf exemplarische Weise. Geboren am Allerheiligentag 1942 (1. November) in Wien, mit letztem Wohnsitz an der Golfstrasse 42 in A-9082 Dellach bei Maria Wörth (Kärnten), verstarb er nach schwerer Krankheit, für seine Leser und Hörer aber überraschend, am 31. Juli 2014.
 
Heinz Clotar Alfons Dopsch machte 1960 Abitur beim Bundesgymnasium XIX in Wien, wonach er auf der Basis hervorragender Lateinkenntnisse (Studium der Altphilologie im Nebenfach) Geschichte studierte. Mit der Dissertation über den steirischen Herrenstand erschloss er sich auf Anhieb und richtungweisend eine historische Landschaft des einstigen Habsburgerreiches. Auf dieser methodischen Basis, Weltgeschichte über Landeskunde zu begreifen, arbeitete er ab 1969 in Salzburg weiter. Hier erschloss er sich als Assistent von Prof. Hans Wagner und mit seiner Habilitationsschrift „Das Erzstift Salzburg im Mittelalter“ das universalhistorische Profil des Ostalpenraums wie wenige andere Historiker. Es folgten Publikationen wie „Geschichte der Stadt Salzburg“, „Die Länder und das Reich – der Ostalpenraum im Hochmittelalter“ sowie zahlreiche regionalgeschichtliche Studien über Stifte, Ortschaften und Städte im Bereich der Salzburger Landesgeschichte. Als seine Hauptwerke gelten die Geschichte des Landes Salzburgs in acht Teilbänden sowie die fünfbändige Geschichte Berchtesgadens, eine Landesgeschichte und nicht etwa bloss eine Ortsgeschichte, wiewohl gerade letztere Thematik von Dopsch auf massstäbliches Niveau gebracht wurde.
 
Die kleineren Publikationen und Vorträge, immer handfest und weiterführend, sind nicht zu zählen und wohl in keinem einzigen Fall zu unterschätzen. An den Kongressen der Internationalen Paracelsus-Gesellschaft Salzburg wie an weiteren Tagungen nicht nur zu diesem Thema stellten seine Beiträge stets einen sicheren Wert dar, auch hochschuldidaktisch auf dem Niveau der Zeit und trotzdem „althumanistisch“ fundiert.
 
Auch im oberbayrischen Raum, der an Salzburg angrenzt, war Heinz Dopsch kulturgeschichtlich, kunstgeschichtlich, wirtschaftsgeschichtlich, zeitgeschichtlich auf phänomenale Weise bewandert, wie er zuletzt 2012 der Internationalen Paracelsus-Gesellschaft Salzburg als deren Präsident in einer Exkursion eindrücklichst demonstrierte. Ob die Kommentierung der jeweiligen historischen Ersterwähnung, Geschichte der Dynasten, Religionsgeschichte, Mystik, Bezüge bis in die moderne Zeit hinein einschliesslich des Nationalsozialismus und der Entwicklung in der Nachkriegszeit: Auf Dopsch konnte man sich bis ins Detail hinein verlassen. Dabei hat er seinen unvergleichlichen Kenntnisreichtum nie langweilig präsentiert. Akademische und intellektuelle Bescheidenheit gehörte mit zu seinem Wesen. Ob gegenüber Anfängern oder Habilitierten, immer trat er jenseits von Arroganz mit beispielhafter Geduld gegenüber Hörerinnen und Hörern auf, auch Referenten, die sich längst nicht auf seinem Niveau bewegten. Er war sich vielmehr nicht zu schade, über die Lehrerfortbildung hinaus Stadtführer von Salzburg und Umgebung auszubilden und weiterzubilden: im Wissen, dass diese Leute zu den wichtigsten Multiplikatoren kulturgeschichtlichen Wissens gehören. Bei Fernsehfilmen, Rundfunkbeiträgen und im Bereich der Volkshochschulen engagierte er sich in einem Ausmass, wie es bei Spitzenforschern selten angetroffen wird. Es ist nicht übertrieben zu sagen: Er leistete es, weil er die Leute ebenso liebte wie das Fach, die Salzburger Landesgeschichte, das einstige Heilige Römische Reich Deutscher Nation und die mit diesem verbundene Kultur, welche er nichtsdestoweniger immer kritisch und jenseits von nationalem Pathos darzustellen wusste.
 
Von den kleinen Vernetzungen ging es weiter zu den grossen Zusammenhängen: das Salzburgische war bei ihm immer auch gesamtösterreichisch gesehen, deutsch und europäisch, die globalen Perspektiven bis in die muslimische, jüdische, orthodoxe Welt nicht zu vergessen. So lebte Heinz Dopsch Universalgeschichte.
 
Neben der Salzburger Universität, der er als Dekan seiner Fakultät diente und der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde, die mit ihm ihren Meister verloren hat, war Heinz Dopsch jahrzehntelang als einer ihrer besten Gelehrten, in Ostalpenfragen der beste, die tragende Säule der Internationalen Paracelsus-Gesellschaft Salzburg. Der bedeutendste Anlass der letzten 30 Jahre war die 500-Jahrfeier 1993, zu der er zusammen mit seinem wohl tüchtigsten Mitarbeiter, Dr. Peter F. Kramml, eine wegweisende Publikation edierte. Damit wurde Salzburg für 20 Jahre zum Focus der Paracelsus-Forschung.
 
Für meine eigenen Arbeiten (vor allem Paracelsus, Arzt und Prophet, 6. Auflage Zürich 2013) kann ich nur bestätigen, dass ich mich an einen kompetenteren Ratgeber schlicht nicht erinnere. Typisch Dopsch war, dass er sich jederzeit in der Lage zeigte, schwierige und dunkle Andeutungen bei Paracelsus, etwa Umweltschädigungen in Bergwerken betreffend, Gewässerverschmutzungen, Fischsterben usw. aus ganz konkreten Details der historischen Salzburger Landeskunde zu erklären. Es fiel einem dann wie Schuppen von den Augen. Dabei enthielt sich Dopsch aber vorbildlich jeder Art von historischer Spekulation. Was er sagte und weiter ausführte, war so gut wie immer durch den belegten Einzelfall geprüft.
 
Bei Heinz Dopsch wurde einem klar, dass weder im marxistischen Sinn das materielle Sein das Bewusstsein bestimmt noch umgekehrt die Geschichte von irgendwelchen Idealen geprägt wird. Für die kompetente Deutung von jeder Art Geistesleben muss man die materiellen Hintergründe kennen. Umgekehrt verbleiben diese banal, wenn der geistige und geistesgeschichtliche, je nach dem auch volkskundliche, religionsgeschichtliche, religiöse und philosophisch-literarische Deutungshorizont nicht vorhanden ist.
 
Diese Horizontvernetzungen hat Heinz Dopsch, ein Humanist wie er im Buch steht, nur bescheidener als der Durchschnitt, als grosser Historiker gelebt. Die in diesem Jahr verstorbenen Meister des Fachs, Hans-Ulrich Wehler und Irin Fetscher, waren wohl auch grosse Historiker, aber im Vergleich zu Dopsch weniger im umfassenden direkten Quellenstudium vor Ort geerdet und darum leider nicht frei gegenüber der Versuchung historischer Geschwätzigkeit und ideologischer Deutungen. Davon hielt sich Heinz Dopsch auf vorbildliche Weise fern. Zu diesen Historikern der sogenannten grossen Linie in der Geschichte gehörte auch der Grossvater von Heinz Dopsch, Alfons Dopsch (1868–1953). Der damals europaweit bekannte Alfons Dopsch galt im Hinblick auf das Römische Reich als Verfechter der „Kontinuitätstheorie“, vertreten gegen die von ihm heftig angegriffene „herrschende Lehre“ von Katastrophentheoretiker Edward Gibbon. Im Gegensatz zum bekannten Briten bekannte sich Alfons Dopsch zur Sichtweise, das Römische Reich sei nicht im eigentlichen Sinn untergegangen, sondern bis in die Zeit Karls des Grossen kontinuierlich verwandelt bzw. germanisiert worden. Es handelt sich also bei solchen Theorien, wie, den 1. Weltkrieg bei Wehler betreffend, um Grundlagen der Geschichtsbewertung. Solche Fragestellungen waren bei Heinz Dopsch nicht das erste Anliegen. Dass hingegen Alfons Dopsch als erster an der Universität Wien ein Seminar hielt zum Gesamtthema „Wirtschafts- und Kulturgeschichte“, sich auch mit dem Übergang von der Naturalwirtschaft zur Geldwirtschaft befasste, weist gewissermassen auf den Enkel voraus.
 
„C’est une grande figure de l’historiographie contemporaine“, schrieb 1954 eine belgische historisch-philologische Zeitschrift zum Ableben von Dopschs Grossvater, nach dem in Wien eine Strasse benannt ist. Eine Ehrung dieser Art würde Enkel Heinz Dopsch in Salzburg vielleicht seinerseits verdienen. Bei den bedeutenden Gelehrten, die ich kennenlernen durfte, gehört er zu den wenigen, die mich auch bei näherem Hinschauen nie enttäuscht haben. Bei der Suche nach der Wahrheit hat er wie wenige wissenschaftliche Demut praktiziert.
 
Heinz Dopsch war seit 1969 mit Elisabeth, genannt Sissy Dopsch, verheiratet, hinterlässt die Töchter Ulrike und Birgit sowie Sohn Martin, die alle ein erfolgreiches Studium hinter sich gebracht haben und auf wohlgeratenste Weise tätig sind. Drei Enkel haben sich ebenfalls bereits eingefunden. Eine verdiente Gnade für die Familie, die ab 1978 in Seekirchen am Wallersee ihren Mittelpunkt hatte. Im dortigen Haus leben mittlerweile sein Sohn und seine Schwiegertochter, während Witwe Sissy nunmehr in Kärnten ansässig ist.
 
Heinz Dopsch war wie Sepp Domandl und Kurt Goldammer hochverdienter Träger des Paracelsus-Rings der Stadt Salzburg. Eine der schönsten und bedeutendsten Kulturstädte Europas verliert nicht wenig an Substanz, wenn ihr bester Kenner, der sie überdies liebte, „das Leben mit dem Tode vertauschte“, wie am Grabmal von Paracelsus, wo Dopsch mehr als einmal eine Gedenkansprache hielt, geschrieben steht.
 
 
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