Textatelier
BLOG vom: 20.10.2014

Eine herbstliche Betrachtung an der Pforte zu André Gide

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Dieses Jahr 2014 kam der Herbst in Windeseile: Er wiegt die Tannenäste und bläst das bunte Laub von den Bäumen – in den Garten nebenan. Ehe der Regen losprasselte, schnitt ich eine handtellergrosse, rote Rose vom Busch. Eine grössere und schönere hätte ich nicht finden können. Und wie sie in der Vase duftet und prunkt!
 
Ich sitze in meiner Leseecke im 1. Stock und beginne meine Lektüre: „La Porte étroite” (Die enge Pforte) von André Gide. Ich verliere den Lesefaden schon auf der Seite 27 der Dünndruckausgabe, an dieser Stelle: „Dans la petite chapelle, il n'y avait, ce matin-là, pas grand monde. Le pasteur Vautier, sans doute intentionellement, avais pris pour texte de sa méditation ces paroles du Christ: Efforcez-vous d'entrer par la porte étroite.“ (Übersetzung: „In der kleinen Kapelle hatte es an diesem Morgen nur wenig Leute. Der Pastor Vautier hatte gewiss absichtlich in seiner Predigt diese Christus-Worte gewählt: Bemüht Euch, durch die enge Türe einzutreten.“) Dieses Werk von André Gide habe ich vor vielen Jahren erstmals gelesen. Ihm ist es gelungen – und mir auch –, der engen Türe zu entkommen, der engstirnigen Umwelt meiner Kindheit, ausserhalb meines Elternhauses. Die Primarschule hat in mir einen leidlichen Eindruck hinterlassen, mitsamt dem Katechismus und damit verbundenen katholischen Kirchenzwang.
 
Inzwischen habe ich den Lebensherbst erreicht. In diesem Lebensalter gibt man sich leicht Rückblicken hin. Davon will ich mich befreien. Das bedingt einen Neubeginn, eine Entdeckungsfahrt in der weiten Gedankenwelt – statt Stillstand oder Ruhestand.
 
Wo und wie finde ich diese Herbstblumen? Meine Suche beginnt mit dem Natternkopf und der Ochsenzunge mit ihren wundervoll gesättigten, indigoblauen Blüten, dem Erdrauch vom Nebel erzeugt, die goldgelbe Immortelle (Helichrysum arenacum), das Herzblatt mit seinem weissgelben Strahlenkranz. Die Fundorte sind heimische Wiesen, Feld und am Weg entlang.
 
Bin ich mit meinem Vorsatz zum Neubeginn überfordert? Das wird sich weisen, lässt sich nicht erzwingen. Das ist einerlei, solange ich dem Herbst Freude abgewinne. Das Tor ist weit geöffnet. Hereinspaziert.
 
 
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