Textatelier
BLOG vom: 22.09.2016

Jörg Zink: Popularisierer des Christentums

Autor: Pirmin Meier, Historiker und Schriftsteller, Beromünster LU/CH


Gott meinte es mehrfach gut mit Jörg Zink, dem wohl bedeutendsten deutschen Fernsehprediger. Er stand am Anfang des Versuchs einer medialen Evangelisierung, der unterdessen nur noch eine Randposition im öffentlichen Leben zukommt. Einer der wichtigsten Tage im Leben des Gottesmannes war der 11. April 1944. Er überlebte den Abschuss eines deutschen Militärflugzeuges durch britische Streitkräfte, kam dann in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Am Ende konnten von 400 Mann des einstigen Geschwaders noch deren drei in die freie deutsche Wildbahn entlassen werden. Der Christ Zink hat diese spezielle Art der Erwählung nie vergessen.

Geboren wurde Jörg Zink am 22.11. 1922 im hessischen Elm, und zwar in ein zutiefst christliches evangelisches Milieu hinein. Verstorben ist er am 9. September 2016. Früh musste er den Verlust der Eltern hinnehmen. In Elm gab es den Habertshof, ein Zentrum der sogenannten Neuwerk-Bewegung, die sich vom Mainstream der damaligen Evangelisch-Lutherischen stark abhob. Kein Wunder, wurde die Bewegung vom Nationalsozialismus unterdrückt. Geistesgeschichtlich wichtig bleibt, dass  Neuwerker sich ursprünglich „Christliche Demokraten“ nannten, einen Ausdruck, den im 19. Jahrhundert und später die Päpste noch ausdrücklich verboten hatten. Deswegen bezeichneten sich die Vorläufer der Christlichdemokratischen Union generationenlang als „Zentrum“, in der Schweiz katholisch-konservative Volkspartei. Herkömmlicher politischer Katholizismus oder Protestantismus war mit den Christdemokraten der evangelischen Neuwerkbewegung nicht zu verwechseln. Zink repräsentierte sein Leben lang ein bekenntnisfrohes Christentum, nicht gerade dasjenige der führenden Schriftgelehrten beider Hauptkonfessionen.

Im Hinblick auf Zink bleibt denkwürdig, dass er sich ohne Unterstützung der Christdemokraten als Fernsehprediger wohl nicht durchgesetzt hätte. Mit der Zeit landete er aber bei den für ihn wahren Christdemokraten, den Grünen. Sie erlangten in Baden-Württemberg eine so starke Stellung wie sonst nirgends auf dem Erdball. Mit den Grünen einte Zink der Schöpfungsgedanke, der alles Lebendige umfasst, mit Rücksicht auf den Feminismus jedoch nicht den menschlichen Embryo. Dies war jedoch nicht Zinks Kriegsschauplatz, so wie der badenwürttembergische Ministerpräsident Wilfried Kretschmann (Grüne) nach kommunistischen Anfängen ein passabel gemässigter Mitte-Links-Politiker wurde. 2015 erhielt Zink für seinen Einsatz in der Friedensbewegung und bei der Gründung der Partei der Grünen von Kretschmann den Ehrentitel „Professor“. Entscheidend habe er dazu beigetragen, dass aus einer Protestbewegung eine ernst zu nehmende Kraft in der Mitte der Gesellschaft geworden sei. Im Vergleich zur Zeit des Kulturkampfes ein klarer Fortschritt. Damals nämlich lernten noch zahlreiche Geistliche in Deutschland und in der Schweiz das Gefängnis von innen kennen. Auch Jesus von Nazareth war es nie vergönnt, zur Mitte der Gesellschaft vorzustossen.

Jörg Zinks Verdienste um das realexistierende Christentum in der Bundesrepublik und darüber hinaus bleiben hoch zu veranschlagen. In der Zeit der Hochkonjunktur und des Wirtschaftswachstums war es wichtig, den Akzent des Predigers auf die Schöpfung zu legen. Der Gedanke des Naturschutzes war in Deutschland schon seit der Weimarer Republik eine nicht zu unterdrückende politische Idee, wie es beispielsweise ein Pionier in dieser Sache, der Hamburger Industrielle Alfred Toepfer, während 65 Jahren bis zu seinem Tod 1994 unter ideologisch wechselnden Vorzeichen demonstrierte. Auch Konrad Adenauer, Willy Brandt („blauer Himmel über dem Ruhrgebiet“) und Helmut Schmidt waren für solches Gedankengut ansprechbar.

Als Evangelisierer wurde Jörg Zink wirksam durch seine modernen, teilweise umstrittenen Bibelübersetzungen jenseits philologischer Orthodoxie. Noch bedeutender wurde er durch seine Betrachtungstexte. Sie können nicht als vulgärtheologisch abgetan werden. Die wenig volkstümliche Vision von Karl Rahner, dass der künftige Christ ein Mystiker sei, machte Jörg Zink zum Prediger des „inneren Weges“: auch ein Untertitel einer seiner lesenswerten Publikationen. Ein anderer Titel lautet: „Dornen können Rosen tragen. Mystik. Die Zukunft des Christentums“. Damit bewegt sich Jörg Zink weder im Umfeld der Christdemokraten noch der Grünen, sondern in demjenigen des schweizerisch-deutschen Passionsmystikers Heinrich Seuse (1295 – 1366), verstorben in Ulm, wo Zink seinerzeit Abitur gemacht hat. Aus dieser Mystik heraus ist zum Beispiel das Gebet von Bruder Klaus entstanden. Mit zur religiösen Begeisterungsfähigkeit von Jörg Zink gehörte der Verweis auf die Weltreligionen, insofern nicht das Gegenteil von Hans Küngs „Weltethos“. Zink engagierte sich auch für das gemeinsame Abendmahl, jenseits von Erörterungen, ob man Gott isst, Brot isst, oder „Gott mit Brot“, wie Voltaire die dogmatischen Meinungsverschiedenheiten spöttisch charakterisierte. Mit Jörg Zink hat die Christenheit deutscher Zunge einen eindrücklichen Bekenner verloren.

 
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