Textatelier
BLOG vom: 13.10.2016

Stylianos Pattakos, Fossil einer Diktatur

Autor: Pirmin Meier, Historiker und Schriftsteller, Beromünster LU/CH


Stylianos Pattakos, gelegentlich auch „Patakos“ geschrieben, war im Putschregime von 1967 griechischer Innenminister, später stellvertretender Ministerpräsident. Er setzte sich noch vor dem Sturz des Regimes 1973 von demselben ab, entging aber nicht der Verurteilung wegen Hochverrat. Pattakos ist die einzige halbwegs interessante Figur in der Riege der damaligen griechischen Obristen. Er wurde am 8. November 1912 auf der Insel Kreta geboren und starb am 8. Oktober in Athen im unglaublichen Alter von fast 104 Jahren. Seine „aus Gesundheitsgründen“ erfolgte Entlassung aus dem Gefängnis überlebte er also um immerhin 26 Jahre.

Denkwürdig bleibt für die Lebensgeschichte von Pattakos, dass noch im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts nicht nur in Osteuropa, auch in Westeuropa Diktaturen nicht nur „denkbar“ waren, wie zum Beispiel in Italien, sondern in mehreren Ländern in autoritärer Form praktiziert wurden, zuletzt in Spanien bis zum späten Tod von Francisco Franco 1976. Was die Geschichte des neueren Griechenland betrifft, so gibt zusätzlich zu denken, dass Politik auch ohne die auf dem Ausnahmezustand beruhende Staatsform der Diktatur leider allzu selten abseits von krimineller Energie praktiziert wurde. Abgesehen von der Folterpraxis zu Zeiten der Diktatur gab es wohl mutmasslich nichts Kriminelleres als die Aufnahme Griechenlands in den Euro-Raum. Nachweisbar war dies auf Täuschungsmanöver in der Rechnungsführung zurückzuführen, in diesem Sinn wohl einer der finanziell am stärksten ins Gewicht fallenden Betrugsfälle der Menschheitsgeschichte. Unsere kritische „Würdigung“ von Pattakos will keinen Diktator relativieren, sehr wohl aber eine zu beachtende Epoche der europäischen Geschichte ins zeitgeschichtliche Bewusstsein rücken.

„Zito i Epanastasis“ – Es lebe die Revolution! war allenthalben auf Plakaten zu lesen, als ich mich 1969 mit Mitstudenten in Griechenland erkundigte. Eine Revolution ohne Revolutionäre. Um Andreas Papandreou zu verhindern, der eine Volksfront mit Kommunisten nicht ausschloss, hatten „Obristen“ am 21. April 1967 die Demokratie gekappt. Uncharismatische, oft brutale, der Folter zugeneigte Militärs. Eine auf dem Lande noch populäre Figur war Innenminister General Stylianos Pattakos, wie ich damals auf dem Peloponnes von einheimischen Vertrauenspersonen in Erfahrung brachte. Seine im Ansatz zwar zum Teil etwas „peronistische“ Sozial- und Mittelstandspolitik stellte nicht den Tiefpunkt der Landesgeschichte dar. Vor allem ist es dem Regime gelungen, die Bauern auf dem Lande zu einem nicht kleinen Teil mit einer entgegenkommenden Politik für sich zu gewinnen. Für Schauspielerin Melina Mercouri, die er ausbürgerte, war Pattakos indes ein Faschist. Auch Mikis Theodorakis sah ihn und den Rest der Junta mit Georgios Papadopoulos und Oberfolterer Ioannidis an der Spitze so, was für das internationale Ansehen jenes Systems durchaus Konsequenzen hatte. Gegen kaum eine Diktatur in Europa wurde zum Beispiel von Studenten so intensiv demonstriert wie gegen das griechische Obristenregime. De facto war Pattakos, im Prinzip dessen bedeutendster Repräsentant, ein christlichsozialer autoritärer Ordnungspolitiker wie vor ihm in Portugal Oliveira Salazar. Nebst dem Feindbild Türkei bekämpfte er den Minirock, dazu lange Haare mit Bärten, was nur im Ordensgewand zulässig war.

Mit Syriza-Politiker Alexis Tsipras, einem erklärten Atheisten, hatte Pattakos gemeinsam, dass Übergriffe auf Privilegien der orthodoxen Kirche Tabu waren. Europas Meisterredner Guy Verhofstadt hat dies 2015 im Europäischen Parlament als Kontinuum der griechischen Politik gegeisselt. Die Episode des griechischen Obristenregimes, 1974 durch Karamanlis abgelöst, bleibt denkwürdig. Nach dem Militärputsch in Athen stellten Kalte Krieger die Frage, ob Italien als nächstes Land in Europa auf diese Weise vor dem Kommunismus zu „retten“ sei. Pattakos, zunächst wie Pappadopoulos und noch andere zum Tode verurteilt, dann zu Zuchthaus begnadigt, war ab 1990 wieder ein freier Mann. Das Fossil der Rechtsdiktatur starb am 8. Oktober in Athen einen Monat vor seinem 104. Geburtstag. Die „gute Meinung“, Griechenland in die Europäische Union und in den Euro-Raum aufzunehmen, hängt auch damit zusammen, dass die Europäische Union die Möglichkeit einer Diktatur auf dem westeurasischen Kontinent ein für allemal ausschalten wollte. Wie die Bemühungen um den Anschluss der Türkei zeigen, ist dies kein leichtes Unterfangen. Griechenland wird es aus historischen Gründen, die Pattakos mit repräsentierte, recht sein, dass die Türkei noch lange nicht „dabei“ sein wird. Es bleibt durchaus richtig und sinnvoll, das wenig ruhmvolle Andenken der Diktatur nicht aus dem Gedächtnis zu eliminieren Was Pattakos betraf, so war er um populistische Sprüche so wenig verlegen wie zu seiner Zeit Präsident Nixons damaliger Vizepräsident Spiro Agnew, der nur dank einer Steueraffäre dann doch nicht Nachfolger des gestürzten Nixon Präsident der Vereinigten Staaten wurde. Diese Geschichten hängen direkt und indirekt alle mit dem Kalten Krieg zusammen, ohne den Griechenland wohl nie in den Status einer Diktatur hätte zurückfallen können.


PS. Ganz ungeschoren blieb die Orthodoxe Kirche von Griechenland weder unter der Militärdiktatur noch in letzter Zeit unter dem linkssozialistischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras. Spannend ist, dass Tsipras im Dezember 2015 die Zivilehe einführte, natürlich mit Konzessionen an die Kirche, womit das im Schweizer Kulturkampf am 23. Mai 1875 errungene Niveau knapp erreicht wurde. Im Gegensatz zu Griechenland wurde dies in der Schweiz durch eine Volksabstimmung bestätigt, und zwar extrem knapp, mit einer Stimmendifferenz von etwa 6000 Bürgern. Innenminister Pattakos hat 1967 im Rahmen des Staatskirchenrechts, vergleichbar mit österreichischen Verhältnissen zur Zeit von Kaiser Joseph II. und Metternich, einige dem damaligen Regime dienliche Reformen durchgesetzt: So wurde für die Bischöfe eine Altersgrenze von 80 Jahren eingeführt. Natürlich nicht um die Kirche zu erneuern, sondern um den Patriarchen Christophoros, der 87 Jahre alt war und Regimegegner, auszuschalten. Ausserdem wurde die Zahl der Mitglieder der Synode reduziert, welche Massnahme ebenfalls eine aus der Sicht von Pattakos nötige Säuberung dieses Gremiums legalisierte. Was Pattakos machte, war klassische Staatskirchenrechtspolitik, wie sie auch zur Zeit des Kulturkampfes in den Kantonen Aargau und Solothurn betrieben wurde. Jedoch in Griechenland ohne Klosteraufhebungen und dergleichen. Es galt, die Kirche als Machtfaktor zu erhalten.  Die Allianz von Thron und Altar, bzw. Regime und Kirche wurde nicht nur beibehalten, sondern durch technisch durchaus vernünftige Reformen für weitere Generationen sichergestellt, was die gegenwärtige Politik beweist. Sowohl in monarchischen, diktatorischen und demokratischen Systemen wird Kirchenpolitik betrieben, und zwar in der Regel stets im systemstabilsierenden Sinn. Der Verfasser dieser Studie ist bekannt dafür, dass er seit seiner Zeit als aargauischer Verfassungsrat für die Trennung von Kirche und Staat eintrat. Diese Frage wird in seinem neuen Buch "Kulturkampf 1841 - 2016", verfasst zusammen mit Altnationalrat Josef Lang, mit erörtert. Das Buch wird am 2. November in Baden vorgestellt, durch den Verlag "hier+jetzt". 

 
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