Erwin Rehmann, ein aussergewöhnlicher Mensch und Künstler
Rückblick und Gedanken von Dr. Bernhard Benninger, Tierarzt i. R., Rheinfelden (Schweiz)
Erwin Rehmann wird am 27. November 1921 in Laufenburg/Schweiz geboren. Sein Vater Rudolf war Feinmechaniker im Kraftwerk, und so kam Erwin wohl schon sehr früh mit Metallen in Kontakt, mit denen sich sein Vater von Berufs wegen beschäftigte.
Er besucht das Lehrerseminar in Wettingen und wird Primar- und Zeichnungslehrer. Während der Kriegsjahre leistet er über 1200 Tage Aktivdienst und besucht zwischendurch die Kunstgewerbeschule in Zürich und Basel. Mitte der Vierzigerjahre zieht er nach Paris, wo er Bildhauerkurse an der Ecole supérieure des Beaux-Arts besucht und Reisen durch verschiedene Länder Europas unternimmt.
Eine wichtige Station wird für Erwin der Bildhauer Eduard Spörri in Wettingen, bei dem er als Gehilfe erstmals richtige «Eisenplastiker-Luft» schnuppern kann. Wichtige Einflüsse kommen in dieser Zeit von Auguste Rodin und Henry Moore, den er in England besucht.
1953: Der bekannte Kunstkritiker Dr. Adolf Reinle ermöglicht dem jungen Künstler eine erste Ausstellung und im gleichen Jahr baut Erwin sein Atelierhaus im Schimelrych in Laufenburg.
1957 heiratet er Margrit Hüsser.
06.02.1959 Geburt von Sohn Christoph Martin.
11.09.1963 Geburt von Sohn Klemens
01.11.1963, nur sieben Wochen nach der Geburt von Klemens stirbt Margrit.
Anfangs 1966 trifft Erwin Astrid Melzer und heiratet sie am 30.08.1966.
Ihr Sohn Christoph Ernst aus erster Ehe wird von Erwin adoptiert. Erste Reise in die USA, der unzählige weitere in die verschiedensten Länder folgen (China, Mexiko, Italien, Frankreich, Deutschland, Belgien, Island, Holland, Israel, Ägypten, die Aufzählung ist unvollständig).
1972 Erste grosse Retrospektive im Aargauer Kunsthaus.
Roy Oppenheim erstellt eine erste Tonbildschau und Filme über Erwin; sein Bekanntheitsgrad nimmt zu. 1981 eine zweite und 1996 eine dritte Retrospektive im Aargauer Kunsthaus.
Ebenfalls 1996 eine umfassende Werkschau im Seedamm-Kulturzentrum in Pfäffikon und die imposante Ausstellung in und ums Kloster Olsberg.
2001 Eröffnung des «Museums Rehmann».
2004 Die Ehefrau Astrid stirbt.
Gegen Ende 2017 muss ein Übertritt von Erwin in das Alters- und Pflegeheim Klostermatte in Laufenburg ins Auge gefasst werden. Dies nicht aus geistigen, sondern wegen körperlichen Schwierigkeiten, die ein zuhause bleiben nicht mehr erlaubten.
Bei meinem letzten Besuch am 28. Februar 2020 war er hellwach wie immer und erzählte, wie gut er es hier hätte. Auf dem Tisch Zeichnungen und Entwürfe in Arbeit, an der Wand eine eben fertig gestellte Collage aus gläsernen Halbkugeln! Noch ahnte man zu diesem Zeitpunkt nicht, dass bloss 14 Tage später die Coronamassnahmen einschneidende Veränderungen mit sich bringen sollten, die Besuche in Altersheimen untersagten.
Am 11. Dezember 2020, 14 Tage nach seinem 99. Geburtstag, stirbt Erwin.
Im Dienst der Gemeinde
Sein unermüdliches Engagement für die Gemeinde prägte Laufenburg, kulturell, geschichtlich, beratend architektonisch. Der jahrzehntelange Einsatz Erwin Rehmanns für die Erhaltung der Altstadt, für die Gründung des Ortsmuseums «Schiff» und sein Einsatz als Beauftragter des Kulturgüterschutzes führten 1976 zur Verleihung der Ehrenbürgerschaft durch die Stadt Laufenburg. Gleichzeitig erhielt er den grossen Kulturpreis in der Höhe von Fr. 10'000.- vom Aarg. Kuratorium für die Förderung des kulturellen Lebens. Nicht zuletzt dank Erwins Bemühungen für eine intakte Altstadt erhält Laufenburg im Jahre 1985 den Wakkerpreis.
Werk/Entwicklung/Ausstellungen
Zwischen 1953 und 2019 war Erwin in über 250 Ausstellungen entweder einzel oder als Teilnehmer präsent! «Ich habe mich kein einziges Mal beworben!». Die wichtigsten sind Biennale in Venedig (1956), Rom (1960), Musée Rodin Paris (1963), Landesausstellung Lausanne (1964), Aarau Kunsthaus Retrospektive (1972), Centre Pompidou Paris (1978), Grosse Werkschau im Seedamm Center Pfäffikon (1981), San Francisco (1982), Hong Kong (1990), Olsberg Retrospektive (1996).
Waren seine Erstwerke noch gegenständlich, figürlich, darstellend, so entwickelten sie sich bald weiter ins Expressionistische. Es entstanden Raum- und Lichtschalen, Strahlenbündel, Kugelplastiken. Die Bronze fasziniert, es wird geschweisst, geschnitten (Schnittplastiken). In dem 1953 erbauten Atelierhaus wird eine Giesserei eingebaut, die zum Ausgangspunkt für eine neue, gigantische Weiterentwicklung werden sollte. Neue Legierungen ermöglichten eine Giesstechnik, die seinen Reliefs eine fliessende, vulkanische Oberfläche gibt. Nach einem Aufenthalt in Island ist er fasziniert von der «Sprache der Metalle», der «Innerlichkeit der Materie». Monumentale Chromstahl-Plastiken entstehen. Tief im christlichen Glauben verankert, schuf er überaus eindrückliche liturgische Geräte in sakralen Räumen. So strahlt das Innere der Kirche Lengnau (AG) durch seine Umgestaltung eine neue, faszinierende Dramaturgie aus. Es scheint für Erwin keine Grenze zu geben, Neues und Unbekanntes zu versuchen und zu realisieren. Sein Credo: Nie stehen bleiben. Immer weitergehen, weitersuchen. Seine Werke werden mit dem renommierten Hans-Arp-Preis ausgezeichnet. Kontakte zu Dr. Adolf Reinle, Heinrich Gebert, Dr. Dieter Bührle, Paul und Maya Sacher, Charles Voegele, Adolf Gugler, Prof. Dr. Eduard Rey und vielen andern Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft, Kultur und Wirtschaft erweiterten sowohl seine persönliche Weltanschauung wie auch die Möglichkeiten zur Realisierung monumentaler Werke.
Kunst am Bau: Über 200 öffentlich zugängliche Werke, künstlerische Ausgestaltungen von Kirchen, 25 zum Teil grosse Brunnenanlagen, die letzte «Panta Rhei» bei der Elektrowatt in Zürich, Kunstwerke auf Friedhöfen, in Banken, Spitäler, Brauereien, Kraftwerken, Fabriken, Brücken. Auch hier bleibt die Aufzählung unvollständig.
Dann Valauris/Südfrankreich: Nachdem ihn Heinrich Gebert bereits für die Gartengestaltung in Wollerau beauftragt hatte, wird Erwin eingeladen, das riesige Anwesen in Südfrankreich künstlerisch zu verschönern. Ein erneut herausforderndes Projekt. Über Monate werden grosse Keramikfiguren geschaffen, das Wasser wird Teil der Skulpturen. Das Ganze fernab vom heimischen Atelier!
In Vercorin im Wallis erstellt Erwin auf dem Kirchplatz den «Chemin de Vie» mit grossen Acrylfiguren». Wiederum eine neue Technik.
Rehmann als Künstler ist ein Er-Schaffer, Er-Finder, Er-Zeuger. Er ist auch ein Schöpfer, eine eigenwillige Persönlichkeit. Ich sage nicht «Egoist», denn auf sich selbst bezogen war Erwin nicht, aber er realisierte konsequent DAS, was er wollte, ohne irgendwelche Kompromisse einzugehen. Eher verzichtete er auf einen Auftrag, als dass er jemandem etwas nach dessen Gusto hergestellt hätte.
Es gibt von ihm rund 100 Aufsätze, Vorträge und Ansprachen, ohne diejenigen in unserem Rotaryclub (s. Anhang). In 52 Büchern und Broschüren finden sich Kritiken, Würdigungen und Ehrungen über Erwin. Dann unzählige Zeitungsartikel, Ausstellungskataloge, über ein Dutzend Filme und Tonbildschauen über sein Werk. Mehr als zwölf Mal berichtet das Deutsch- resp. das Welsche Schweizer Fernsehen über Erwin Rehmann.
Das Museum Rehmann
Heinrich Gebert offeriert nach einem Besuch der grossen Ausstellung in Olsberg 1996 der Gemeinde Laufenburg zwei ein halb Millionen Franken «für die Errichtung eines Museums». Ein erstes Projekt im alten Zeughaus erweist sich als nicht machbar.
Eine neue Idee wird geboren: das Museum soll in und um Erwins Haus entstehen, verbunden mit seiner ehemaligen Werkstätte (Atelier). Nach Gebert’s Initialbeitrag wird die «Stiftung Ateliermuseum Erwin Rehmann und Skulpturengarten» gegründet und weitere Sponsoren gesucht. Erwin schenkt den gesamten künstlerischen Nachlass der Stiftung.
Die Stiftung ist aktiv, Mitglieder zur Bildung eines Förderkreises werden angeschrieben, die ersten Pläne für ein Museum entstehen. Angrenzend an Rehmanns Haus kann Land für einen Skulpturengarten erworben werden. Dem Bau des Museums verleiht Erwin seine eigene Handschrift, indem er sämtliche Pläne, Projekte und Details bis ins Letzte kontrolliert und so durchsetzt, wie er es für richtig findet. Am 20. Oktober 2001 wird das Museum mit einer grossen Feier eröffnet. Seither finden regelmässige Ausstellungen statt. Ein erster Höhepunkt ist sicher 2003 die beeindruckende Präsentation von 31 Original-Rodin Skulpturen, inklusive dem «Grossen Denker». In jährlichen Ausstellungen werden Arbeiten verschiedener Künstler dem Werk Rehmanns gegenübergestellt werden. Zudem gibt es Lesungen, Konzerte, Workshops. Am 1. Juli 2010 besucht der Bundesrat in corpore das Museum.
Nochmals, im Alter von 88 Jahren, beginnt Erwin in einer einmaligen Parforceleistung mit dem Schreiben und Zusammenstellen einer dreibändigen Autobiographie, der er den Titel «Memesis» gibt. Das ganze Leben passiert noch einmal Revue; die drei Bände erscheinen im Jahre seines 90sten Geburtstags 2011. Zusammen mit den bereits 1967, 1977 und 1987 bei Editions Griffon erschienenen drei Monographien «Die Plastik des 20. Jahrhunderts», die mehrere Preise als beste Kunstbücher erhielten, bietet sich allen Interessierten eine einmalige Möglichkeit, Leben und Werk von Erwin Rehmann in Bild und Text näher kennenzulernen.
Erwin begleitet das Leben im Museum weiter und kreiert zusammen mit seinem langjährigen Assistenten Daniel Waldner das grossflächige Relief «Unendliche Fläche und Kreation», das an seinem 97. Geburtstag im Museum eingeweiht wird.
Unser Rotaryclub kann Erwin Rehmann aus Anlass seiner 60-jährigen Mitgliedschaft (seit 1958) wegen Krankheit erst am 18. Juni 2019 ein letztes Mal im Museum besuchen. Mit gewohnt treffenden und aussagekräftigen Worten erläutert Erwin uns das Wesen und den Sinn dieses neuesten Kunstwerkes. Es war sein allerletztes Werk, das er zusammen mit einem temporären Mitarbeiter kreiert hat. Das "Bild" wurde an Rehmanns 97. Geburtstag am 27. November 2018 eingeweiht.
Es trägt den Titel: Unendliche Fläche und Kreation, 2018. Messing, Beton, Wolle. Dauerleihgabe im Museum Rehmann in Laufenburg/Schweiz.
Rotaryclub
Nachdem der Club 1957 die Stadt Laufenburg aus Anlass der 750 Jahrfeier besucht und anschliessend Erwin einen Atelierbesuch abstattete, wurde er zur Aufnahme vorgeschlagen und am 29. April 1958 unter dem damaligen Präsidenten Arnold Fricker in unseren Rotaryclub aufgenommen.
Von Beginn weg engagierte er sich hier mit grosser Begeisterung. Wobei die ersten Jahre eine finanzielle Herausforderung waren, wusste er doch oft nicht, wie er die Mitgliederbeiträge zahlen sollte.
Er übernahm verschiedene Ämter im Club (Clubmeister, zweieinhalb Jahre Bulletin, Programm, Information) und war 1964/65 Präsident.
Seine Hingabe für den Club war enorm. Ich habe aus den Bulletins 58 Vorträge, Atelier- und Museumsführungen, Reden und von ihm organisierte Anlässe gefunden. Dabei sind die in anderen, auswärtigen Clubs gehaltenen Vorträge nicht einmal enthalten. Das diesbezügliche «Palmarès» von Erwin’s Engagement bei Rotary ist im Anhang ersichtlich.
«Lieben heisst «GEBEN» nicht «NEHMEN». Wir s i n d nur, was wir von uns geben. Und jeder ist für den andern nur, was er ihm gibt». Dies ein kurzer Ausschnitt aus einem gehaltenen Vortrag über «Freundschaft».So sind schonfrüheren Bulletinschreibern die eindrückliche Sprache und pointierte Aussagekraft von Erwin’s Referaten aufgefallen, haben sie doch ihren Berichten zum Teil Bemerkungen wie «sehr philosophisch» oder «sehr gehaltvoll!» angefügt. Erwin hat Rotary auch gelebt, in Gedanken, Wort und Tat. Die Einhaltung der regelmässigen Präsenz sei nicht einfach gewesen, aber der Kontakt mit anderen Menschen, andern Berufen, anderen Problemen hätte das alles aufgewogen. «Ich empfand diese selbst nie angestrebte Einladung in den Club als ein «Sich-Öffnen». Obschon mein konzentriertes Schaffen oft für einen ganzen Tag beeinflusst und gestört wurde, nahm ich es in Kauf. Die anregenden Tischgespäche und fachkundigen Vorträge brachten für Manches Verständnis, für das ich sonst kaum Einblick erhalten hätte».
Ein Freund
Als ich 1974 nach Laufenburg kam, war auch für mich Erwin Rehmann’s Einfluss in der Gemeinde unübersehbar. 1978 wurden wir Nachbarn und 1981 schlug er mich in den Rotaryclub vor, eine neue Welt eröffnete sich mir, neue Freunde wurden gefunden, eine zum Beruf willkommene Abwechslung bereicherte mein Leben. Sehr oft fuhren wir am Dienstag zusammen in den Club und nach der Rückkehr nach Laufenburg blieben wir oft einfach im Auto sitzen, diskutierten über Gott und die Welt und vergassen dabei, dass das sowohl seine Arbeit wie meine anstehenden Tierarztbesuche eigentlich gar nicht erlaubten. Was soll’s, es waren bereichernde, anregende aber auch verständnisvolle Diskussionen. Mit Erwin und Astrid verband uns bald eine tiefe Freundschaft, für die ich überaus dankbar bin. Beide hatten stets Zeit, hörten zu und viele Diskussionen und Gespräche waren und bleiben uns in nachhaltiger Erinnerung.
Schliesslich durfte ich als Stiftungsrat in «seinem» Museum mitwirken und mithelfen, das Unternehmen «Museum Rehmann» auf Kurs zu bringen; das übrigens in Gesellschaft unserer Mitrotarier Udo Haas, Christian Kuoni, Erich Erne und Guido Marbet. Brita Leupin führte Protokoll und war für die Administration zuständig. Eine grosse Anzahl weiterer Mitglieder unseres Clubs waren mit Erwin und Astrid über viele Jahre in tiefer Freundschaft verbunden.
Es ist unvorstellbar, was in Erwins Leben alles Platz hatte, mit welcher Energie er Projekte und Ideen verwirklichte. Ein unbändiges Hin zum Ganzen, wie er immer wieder betonte. Seine Reden, sein Auftreten, seine Gedanken, alles war stets geprägt von seinem Glauben und Verständnis für das Sakrale.
Mehrere Zeitungen meldeten nach seinem Tod, dass mit Erwin Rehmann einer der letzten grossen Eisenplastiker gestorben sei. Ich füge dem an: nicht nur Eisenplastiker, er war ein grosser, suchender, stets auf’s Neue fixierter Geist und Entwickler, geprägt von tiefer Spiritualität und Überzeugung. Eine Lichtgestalt in der Kunstszene und ein unermüdlicher Schaffer. Ein Freund.
Im ersten Band seiner «Memesis» Memoiren, schreibt er ganz am Schluss: «Ich habe keine Angst vor dem Sterben. Ich weiss wohin es geht. Ich habe eine Adresse».
Ich bin überzeugt, er ist da inzwischen gut angekommen.
Weitere Informationen zu Leben und Werk Rehmanns und Infos zum Museum:
www.rehmann-museum.ch