Textatelier
BLOG vom: 26.02.2008

Coleridge: Poesie-Œuvre – Zündschnur zum Pulverfass

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Der bedeutende englische Poet Samuel Taylor Coleridge wurde 1772 als Sohn eines Vikars in Ottery St. Mary geboren. Er gehörte zum Pflichtpensum meiner 2 Söhne auf der Universität. Das verpflichtet mich, diesem Poeten ebenfalls – und zum 1. Mal – ein bisschen näher zu rücken.
 
Aber zuerst lege ich die Zündschnur zum Pulverfass …
 
Coleridge muss unangenehme Erinnerungen von seinem Aufenthalt in Köln mit sich fortgetragen haben. Er drückte sich sehr brutal aus – und diese 2 Verse werden gewiss manchen Kölner davon abhalten, sich mit diesem Poeten auseinander zu setzen:
Cologne (Köln)
In Köln, a town of monks and bones
And pavements fang’d with murderous stones,
And rags, and hags, and hideous wenches;
I counted two and seventy stenches,
All well defined, and several stinks!
Ye Nymphs that reign o’ver sewers and sinks,
The river Rhine, it is well known,
Doth wash your city of Cologne;
But tell me Nymphs! What power divine
Shall henceforth wash the river Rhine?
(Etwa so übersetzt:
Köln, eine Stadt von Mönchen und Knochen/und Strassen mit mörderischem Pflaster gespickt,/Und Lumpen und alten Weibern und hässlichen Mädchen („wenches“ kann sich auch auf Huren beziehen);/ Ich zählte 2 und 70 Arten von Gestank,/Alle gut definiert, und verschiedenerlei Mief (schale Dünste)!/O Nymphen, die über Abwässer und Ausgüsse thronen (regieren), Der Fluss Rhein, es ist wohl bekannt,/wäscht eure Kölner Stadt;/Doch sagt mir Nymphen? Welche göttliche Macht/Wird fortan den Rhein waschen?)
Hier ist sein Abschiedsgruss an Köln:
On my joyful departure from the same City
(Von meiner freudvollen Abreise von der gleichen Stadt)
As a rhymer,
And now at least a merry one,
Mr. Mum’s Rudesheimer
And the Church of St. Geryon
Are the two things alone
That deserve to be known
In the body and soul-stinking town of Cologne.
(Als Verseschmied/Und jetzt endlich ein fröhlicher/Herr Mum’s Rudesheimer/Und die Kirche St. Geryon/Sind die 2 einzigen Dinge/Die es wert sind zu kennen/ Im Körper der zur Seele stinkenden Stadt Köln.)
 
So ein Lümmel, denke ich. Warum eine derartige Stinkwut in Verse trichtern? Aber Hand aufs Herz: Auch ich habe in Orten verweilt, die mich hässig stimmten – etwa La Chaux-de-Fonds im sibirischen Winter … Ich war froh, dieser öden Schachbrett-Stadt, von myopischen Uhrmachern besiedelt, verslos doch auf flinken Fersen zu entrinnen. Ich warte jetzt auf wutentbrannte Zuschriften …
 
Zwar ist Coleridge nicht darauf angewiesen, dass ich ihn in Schutz nehme. Nur um die erbosten Kölner zu besänftigen, füge ich hier bei, dass Coleridge ein enges intellektuelles Verhältnis zu Immanuel Kant und Gotthold Lessing hatte. Er studierte u. a. Deutsch und Deutsche Literatur und übersetzte nach seiner Rückkehr Friedrich Schillers Wallenstein.
Obige Hinweise habe ich dem Wikipedia entnommen. Weil er aufschlussreicher ist, stütze ich mich hier lieber auf das von W.M. Rosetti an Coleridge gewidmete Vorwort ab. (Rosetti war ein Mitbegründer des Künstlerverbunds Pre-Raphaelite Brotherhood (1848 gegründet). Erst letzte Woche fand ich den Band Coleridge’s Poetical Works, von E. Moxton Sons & Co (o. J.), doch vermutlich um 1900 gedruckt, mit Stahlstichen von Thomas Seccombe illustriert, in einem auf dem Boden ausgebreiteten Stapel Bücher  – Sie haben es erraten – auf dem Flohmarkt in Wimbledon, wiederum im besten Zustand, wie es den selten gelesenen poetischen Werken eigen ist.
 
Rosetti erwähnte, dass Coleridges Eltern früh starben und er allein und schlecht ernährt im Christ Hospital in London geschult worden war. Zum Glück fand er im hartgesottenen Schulmeister, Herr Bowyer, einen Gönner, der dem armen, kleinen Coleridge den Steigbügel in die Welt der Literatur hielt und ihm erst noch einen Platz in Cambridge sicherte. Es sei an dieser Stelle ebenfalls vermerkt, dass die Mäzen Josiah und Thomas Wedgewood (berühmte Porzellan-Hersteller) ihm den einjährigen Aufenthalt in Deutschland ermöglichten.
 
In Coleridges Biographia Literaria erfahre ich aus seinen Gesprächen mit seinem Freund William Wordsworth (ebenfalls ein berühmter englischer Poet) seine 2 wegleitenden Kardinalspunkte zur Poesie, wonach sie durch Naturwahrheit die Sympathie der Leser zu gewinnen trachte und das Leseinteresse mittels innovativer Imagination und Farben fesseln sollte. Unmittelbarer ausgedrückt, schrieb Coleridge: „Der plötzliche Charme, welche Zufälle von Licht und Schatten auslösen, wie Mondschein oder Sonnenuntergang über familiäre Landschaft gestreut ... daraus entsteht die Poesie der Natur.
 
Aber damit bleibt die Poesie nicht im Irdisch-Wahrnehmbaren haften, sondern steigt hoch ins übernatürliche Gefilde, ins Imaginäre, in die Traumsphäre. Aus solchen Gedankenbahnen entstand das Gemeinschaftswerk der so genannten „Lake Poets“ (Coleridge und Wordsworth) mit dem Titel Lyrical Ballads. Ich glaube, es täte diesem Meisterwerk Abbruch, bloss Fragmente daraus zu zitieren.
 
Ohne weiteres Drum und Dran lasse ich deshalb hier Coleridges Singvogel-Gesang aufsteigen, ohne mich in eine Übersetzung zu verheddern:
Song
A sunny shaft did I behold,
And thus he sang: „Adieu! Adieu.”
From sky to earth it slanted:
Love’s dreams prove seldom true.
And poised therein a bird so bold
The blossoms, they make no delay:
Sweet bird, thou wert enchanted! (ihr wurdet entzaubert!)
The sparkling dew-drops will not stay.
He sank, he rose, he twinkled, he trolled
Sweet month of May,
Within that shaft of sunny mist;
We must away;
His eyes of fire, his beak of gold,
Far, far away!
All else of amethyst!
To-day! To-day!” 
In seinem Leben war Coleridge viel unterwegs und wechselte immer wieder seinen Wohnort. In späteren Jahren wurde er zunehmend vom Opium abhängig. Er starb 1834.
 
Vielleicht bewirkt diese Skizze, dass die Kölner Coleridge verzeihen werden und ihn ins Herz schliessen. Denn dort passt er am besten hin.
 
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